Inside Occupy

erklären, nur um massive Einschnitte im Sozialwesen durchzudrücken – sie sollten das Land vor einer größtenteils imaginären Schuldenkrise bewahren, die die USA schlimmstenfalls in einigen Jahren zur Erklärung der Zahlungsunfähigkeit zwingen würde. Präsident Obama wiederum wollte vergleichsweise vernünftig erscheinen – als »einziger Erwachsener im Raum« dastehen, wie seine Berater gern sagten –, indem er schlicht nicht darauf hinwies, dass die ganze Debatte auf völlig falsche ökonomische Prämissen gegründet war, und eine mildere »Kompromiss«-Version genau desselben Programms vorlegte – als entlarve man einen Wahnsinnigen am besten dadurch, dass man 50 Prozent seiner Wahnvorstellungen zur Realität erklärt.
    Das einzig Vernünftige in diesem Kontext war der Hinweis auf zweierlei: dass die ganze Debatte sinnlos war und die politische Ordnung sich wirksam selbst delegitimiert hatte. So, sprich aus Mangel an Alternativen, konnte sich überhaupt erst ein zusammengewürfeltes Fähnlein von Anarchisten, Hippies, arbeitslosen Collegeabsolventen, paganen Baumbesetzern und Friedensaktivisten plötzlich als Amerikas Erwachsene etablieren. Es gibt Zeiten, in denen die radikale Position einfach die einzig vernünftige ist.
    Ich möchte hier bewusst keine konkreten Vorschläge für Langzeitstrategien machen, halte es aber für wichtig, nie zu vergessen, dass in Amerika Politik zu einem Spiel geworden ist, dessen Mitspieler längst nicht mehr der Ansicht sind, es könnte dabei um etwas anderes gehen als um kollektive Wahnvorstellungen, will sagen: effektiv von der Macht geschaffene Realitäten. Und »Macht« erweist sich in diesem Kontext für gewöhnlich letzten Endes als nichts weiter als ein Euphemismus für organisierte Gewalt. Aus ebendiesem Grund ist es, egal wofür man sich nun entscheidet, von ausschlaggebender Bedeutung, weiterhin sowohl für Räume zu sorgen, in denen sich wirklich unter den Maßgaben von Vernunft und Kompromissbereitschaft arbeiten lässt, als auch den Apparat schierer dummer Gewalt hinter der Behauptung der Politiker bloßzustellen, »Realitäten« aus dem Nichts schaffen zu können. Und das wiederum bedeutet zwangsläufig, dieser so dummen wie brutalen Gewalt nicht mit einem »vernünftigen« Kompromiss entgegenzutreten, sondern mit einer Art flexibler, intelligenter Gegenmacht, die eine radikale Alternative ent wickelt und dabei alle Beteiligten unmissverständlich und immer wieder daran erinnert, wer und was das eigentliche Fundament dieser Macht ist.

Kapitel 5
Das Ende des hypnotischen Banns
    Dieses Buch handelt vom Beginn einer massendemokratischen Bewegung in den USA, von Amerikas ganz eigenem, einzigartigem Beitrag zu einer globalen Bewegung, die – ausgehend von der tunesischen Revolution im Jahre 2011 – auf die eine oder andere Weise fast alle bestehenden Machtstrukturen zu bedrohen begann. Es wird wahrscheinlich einige Zeit dauern, bis wir die historischen Implikationen dieser Ereignisse in ihrer Gänze sehen können.
    Die unmittelbare Wirkung rund um die Welt jedenfalls bestand darin, dass sie all die politischen, administrativen und »Sicherheits«-Mechanismen auslösten, die während der letzten Generationen eingerichtet wurden, um zu verhindern, dass öffentliche Erhebungen wie diese irgendwo auf der Welt eine größere Rolle spielen. Die USA inszenierten im Nahen Osten einen komplexen Eiertanz, um sicher sein zu können, dass derlei Bewegungen (auf jeden Fall die auf der arabischen Halbinsel) gewaltsam unterdrückt wurden; andere sahen sich geschluckt, durch Hilfsmittel und NROs neutralisiert, oder man lenkte sie in eine leichter zu handhabende liberale oder ethnisch-nationale Bahn. In Europa kam es zu einer Reihe von Finanzcoups, anders kann man das nicht nennen, bei denen die politische Elite der reichen nördlichen Länder gewählte Regierungen in Griechenland und Italien durch in der Theorie des freien Marktkapitalismus versierte »neutrale Technokraten« ersetzte. Diese sollten einer potenziell rebellischen Bevölkerung den nötigen »Schmerz« zufügen, um die Integrität eines Geldsystems zu gewährleisten, in dem die Interessen von Anleiheninhabern stets an oberster Stelle stehen.
    In den USA gibt es praktisch ein Standardrezept, das man im Lauf der Jahre als Reaktion auf alles entwickelt hat, was auch nur so aussehen könnte wie der Vorbote einer radikaldemokratischen Bewegung mit dem Hauch einer Chance. Als Erstes diskreditiert man die Radikalen,