Inside Polizei
aus gutem Grund, wie er erschrocken feststellte, denn sie widersprachen sich komplett. Er überprüfte Zeit, Ort, Datum und die Personalien der beteiligten Personen. Kein Zweifel. Dies war ein und derselbe Vorgang.
Der gewissenhafte Dienstgruppenleiter lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und überlegte sein weiteres Vorgehen. Dann atmete er tief durch, griff zum Telefonhörer und wählte die Durchwahl seines Vorgesetzten. »Wir haben ein Problem ...«
Die Krisentreffen der nächsten Stunden lassen sich nicht mehr vollständig rekonstruieren. Kaum etwas davon gelangte an die Öffentlichkeit, und die Gespräche fanden weit oberhalb der Gehaltsstufen aller involvierten Polizeibeamten statt. Die Ergebnisse der Unterredungen waren jedoch eindeutig und wurden den Betroffenen unverzüglich mitgeteilt.
Manfred, der verprügelte Drogensüchtige, wurde umgehend aus der vorübergehenden Haft entlassen. Der ihn nun betreuende Polizist behandelte ihn freundlich, ja beinahe fürsorglich. In diesem für Manfred ungewohnt angenehmen Polizeiklima wurde er gebeten, eine erneute umfassende Zeugenaussage zu Protokoll zu geben, bevor er in die Freiheit zurückkehrte.
Aus einem inhaftierten Täter wurde über Nacht offiziell ein zufälliges Gewaltopfer, zusammengeschlagen von zwei Polizeibeamten.
Christian und Markus wurden der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung angeklagt. Gleichzeitig leitete die Polizeiführung ein Disziplinarverfahren gegen beide Beamten ein. Die Behörde entzog ihnen zusätzlich den Status eines SEK-Angehörigen, versetzte sie zuerst innerhalb der Behörde, bevor sie gänzlich suspendiert wurden.
Welch unerwartete und dramatische Wendung in diesem Fall!
Aber wie wäre wohl die strafrechtliche Ahndung dieser Nacht abgelaufen, wenn Melanie und Gerold nicht zufällig Zeugen des Vorfalls geworden wären?
Dem Polizeipräsidium gelang es, den Vorfall vor der Öffentlichkeit und der Presse zu verheimlichen, erst einmal. Intern, unter den Polizisten der Behörde, gelang dies nicht, zu viele Beamte waren in dieser Nacht beteiligt gewesen: die erste Streife an der Discomeile, die zweite Streife am späteren Tatort, das Skimming-Observationsteam – die entscheidenden Zeugen – und die beiden Angeklagten des SEK-Kommandos.
Auf eine vollständige Ermittlung aller Angehörigen des Spezialeinsatzkommandos bei der Rotlichtparty und weiterer vermuteter SEK-Rachekommandos in der Stadt verzichtete die Polizeiführung. Erstens hätte dies wohl das städtische SEK-Kommando an den Rand der Einsatzfähigkeit gebracht, und zweitens gab es keinen Ermittlungsansatz. Christian und Markus gaben lediglich ihre bereits getätigten Aussagen wieder, zu einer darüber hinausgehenden Zusammenarbeit waren sie nicht bereit. Ihre stadtbekannten Staranwälte übernahmen mittlerweile die Kommunikation mit der Behördenleitung.
In der gesamten Polizeibehörde gab es nur noch ein Gesprächsthema: Wie würde sich der Fall weiterentwickeln? Gab es eine erneute Wendung, jetzt, nachdem sich das Observationsteam bewusst geworden war, gegen wen es aussagen musste? Gegen Kollegen! Würde der Korpsgeist die Aussage verändern? Abschwächen? Oder gar zu Gedächtnisschwund führen? Die Spannung stieg, und es gab zahlreiche hitzige Diskussionen. Die Mehrzahl der Kollegen fand, dass der Vorfall dem Polizeiansehen schadete , und erwartete allein deswegen eine klare Verurteilung. Doch auch das Verhalten der Behördenführung war nicht unumstritten: Zwei verdiente Polizisten, die seit zehn, 15 Jahren herausragende Leistungen in Spezialeinheiten vorweisen konnten, zu suspendieren, bevor eine rechtskräftigte Verurteilung vorlag, empfanden viele als feige und überzogen. Andere Polizisten hatten noch weniger Probleme mit den Geschehnissen jener Nacht: Ein mehrfach vorbestrafter Junkie hatte etwas auf die Mütze bekommen, na und!? Was quatschte er auch nachts wildfremde Männer nach Rauschgift an, er war doch selbst schuld daran, was mit ihm passiert war. Vielleicht tat ihm ja eine Abreibung sogar mal ganz gut, und er überdachte seinen eingeschlagenen Lebensweg. Diese Meinung durfte allerdings nur abseits von Vorgesetzten und Karrierebeamten geäußert werden. Denn die Behördenleitung erwies sich in diesem Fall als toleranz- und humorlos und beorderte etliche Polizisten zu Vier-Augen-Gesprächen, um diese Stimmen zum Schweigen zu bringen und den Beamten die offizielle Behördenmeinung aufzuzwingen.
Dem Polizeipräsidium gelang es, mit
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