Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
zulassen, daß sie ihn einfach überrumpelten.
Er rannte nach oben in Lennys Mansarde, zerrte das schwere Schießeisen unter der Matratze hervor, lief wieder zurück in das chaotische Durcheinander seines eigenen Zimmers und sammelte sein Bargeld ein, das er in einem leeren Buchrücken mit dem Titel Praktische Fitneß-Tips versteckt hatte. Alles in allem waren es fast hundert Pfund. Das sollte reichen.
Er stürmte über die Treppe nach unten in die Diele, riß seinen Parka vom Garderobenhaken, stopfte die Waffe und das Geld in die tiefen Taschen und ging zurück zu seinem Posten am Fenster. Nun war er bereit, konnte es mit jedem aufnehmen. Die Pillen taten endlich die vertraute Wirkung. Er spürte das beruhigende Gewicht der Waffe in seiner Tasche, die Wellen von Adrenalin, die durch seine Adern strömten und ihn mit einem wohligen Gefühl von Stärke und Macht durchfluteten. Es war höchste Zeit, daß er etwas unternahm; er lief über vor Energie.
Der Mann mit dem Hund war verschwunden, und das Liebespaar hatte sich einen anderen Baum gesucht. Die wollten ihn austricksen, ganz klar, aber er war schließlich nicht von gestern. Es wimmelte ja nur so von Pärchen inzwischen. Drückten sich an jedem Baum rum und taten so, als ob sie sich küssen und befummeln würden. Ein heißer Strom von Energie schoß ihm in die Lenden, während er hinausschaute auf die erotische Szenerie der sich umschlingenden Schatten.
Als der Streifenwagen endlich auftauchte, war er bereit. Er beobachtete, wie sich die Scheinwerfer langsam näherten, die dunklen Schatten der Beobachter in der Grünanlage verscheuchten und mit ihren Lichtbündeln suchend die Häuser abtasteten. Leise öffnete er die Hintertür. Er hatte einen festen Plan. Es gab nur eine vernünftige Lösung: Er mußte aus Eastvale verschwinden, sich nach London durchschlagen und eine Zeitlang bei Lenny untertauchen. Um aus Eastvale herauszukommen, mußte er zuerst quer durch den Grüngürtel, dann über den Fluß und um die Burg herum zur Bushaltestelle auf dem Marktplatz. Nach Osten zu flüchten war nicht ratsam; in dieser Richtung gab es nur endlose Felder und die langen, flachen Niederungen des Tals. Da draußen im Freien war er eine leichte Zielscheibe.
Vorsichtig schlich er sich über den baumbestandenen Weg hinter den Häusern bis zu einem schmalen Durchgang zwischen den Gebäudeblocks. Als er sich behutsam an die Straße herangetastet hatte, lagen bereits vier Häuser zwischen ihm und der Polizei. Nun brauchte er nur noch lautlos unter den Bäumen abzutauchen und war frei.
Unbemerkt überquerte er die Straße und erreichte den Rand des Grüngürtels. Die Polizisten standen immer noch vor seinem Haus und klopften an die Tür, diese Armleuchter. Ein paar Schritte noch, und er würde im Dunkel verschwunden sein, in den Schatten, die ihm nun wieder vertraut und willkommen waren.
Plötzlich hörte er hinter sich eine Stimme rufen. Einen Moment lang blieb er wie angewurzelt stehen und fühlte, wie das Adrenalin in seinen Adern prickelte.
«He, Sie da!» rief die Stimme erneut. «Bleiben Sie stehen! Polizei!»
Eine Sekunde lang dachte er, nun ist alles vorbei, sie haben mich, aber dann erinnerte er sich, daß er noch einen Trumpf im Ärmel hatte - seine Waffe und diese Kraft, die in ihm knisterte. Blitzartig war ihm ein neuer Gedanke gekommen, so wunderbar und verlockend, daß er laut herauslachte, während er über die Grünfläche rannte, die Polizei, laut rufend, dicht auf seinen Fersen. Er würde es nie schaffen bis zur Bushaltestelle, das war ihm inzwischen klar, und selbst wenn es ihm gelang, würde man ihn dort schon erwarten, weil sie sich über Funk miteinander verständigten. Also mußte er improvisieren, mußte etwas anderes versuchen.
Das Licht war an. Ein gutes Zeichen. Ohne einen Moment zu zögern, rannte er die Treppen hoch, drei Stufen auf einmal nehmend, und rammte die Schulter gegen die Haustür. Sie gab nicht nach beim ersten Ansturm. Die Polizisten kamen bereits unter den Bäumen hervor, kaum siebzig Meter von ihm entfernt. Mick nahm einen kurzen Anlauf und warf sich erneut gegen die Tür. Diesmal sprang sie auf. Hinter einer Tür in der Diele stand die Frau, bereits aufgescheucht von seinem ersten Versuch, und spähte ängstlich durch eine schmale Ritze. Mit einem Ruck stieß er die Tür auf, packte sie an den Haaren und schleifte sie zum Vorderfenster. Inzwischen hatte die Polizei die Straße schon halb
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