Inspector Alan Banks 03 Ein unvermeidlicher Mord
Landschaftsaquarelle, die von einem alten Sack bedeckt waren. Sie erinnerten an das Bild, das Banks bei seinem ersten Besuch aufgefallen war. Das war also die andere Seite von Ricks Arbeit. Und anscheinend verdiente er damit sein Geld. Er verkaufte hübsche Heimatlandschaften an Touristen und kleine alte Damen, um seine revolutionäre Kunst finanzieren zu können.
Mara hatte ihnen die ganze Zeit stumm und mit verschränkten Armen zugeschaut. Als sie fertig waren, schloss sie ab und führte Banks und Richmond zurück zum Haus.
»Gehen Sie beide doch schon vor«, sagte Banks, als er das Tor hinter ihnen geschlossen hatte. »Ich werfe noch einen Blick in den Schuppen. Er ist nicht abgeschlossen, oder?«
Mara schüttelte den Kopf und ging mit Richmond zurück ins Haus.
Banks öffnete die Tür. Im Inneren des Schuppens war es dunkel und roch nach Holzspänen, Sägemehl, geöltem Metall, Leinöl und Lack. Als er die Kette zog, die vor ihm baumelte, ging eine nackte Glühbirne an und brachte Seths Werkstatt zum Vorschein. An den Wänden lehnten Latten, Bretter und Möbelteile in verschiedenen Fertigungsstadien. Die dunklen Ecken waren mit Spinnenweben überzogen. Seth besaß eine Drehbank und eine vollständige Garnitur gut gepflegter Werkzeuge: Hobel, Sägen, Hämmer, Beitel. Auf den einfachen Regalbrettern an den Wänden lagerten Schachteln voll Nägel und Schrauben. Für ein Versteck gab es keinen Platz.
Am hinteren Ende der Werkstatt stand eine alte Remington-Büroschreibmaschine auf einem Schreibtisch. In dem geöffneten Aktenschrank daneben fand Banks lediglich Briefe, die mit Seths Tischlerei in Verbindung standen. Kostenvoranschläge, Rechnungen, Quittungen, Aufträge. Dann gab es noch ein kleines Bücherregal. Bei den meisten Büchern handelte es sich um solche über antike Möbel und Schreinertechniken, doch waren auch ein paar alte Taschenbuchromane darunter sowie zwei Bücher über das menschliche Gehirn, von denen eines Die Spitze des Eisberges hieß. Vielleicht, so dachte Banks, hegte Seth im Geheimen den Wunsch, eines Tages Gehirnchirurg zu werden. Da er bereits Tischler war, würde es ihm wahrscheinlich leichter als den meisten anderen fallen.
Er ging zurück zur Tür und wollte gerade das Licht ausschalten, als ihm auf einer Ablage neben der Tür ein zerfleddertes Notizbuch ins Auge fiel. Lauter Maßangaben, Adressen und Telefonnummern standen darin, also war es wahrscheinlich Seths Arbeitsbuch. Als er es durchblätterte, bemerkte er, dass eine Seite unordentlich herausgerissen worden war. Auf der nächsten Seite konnte man noch schwach die mit starkem Druck geschriebenen Zahlen erkennen. Banks nahm ein Blatt seines eigenen Notizbuches, legte es auf diese Seite und rieb mit einem Bleistift darüber. Die Nummer, die zum Vorschein kam, lautete 1139. Man konnte schwer sagen, ob es sich um die gleiche Handschrift handelte, denn die restlichen Zahlen im Notizbuch waren wesentlich größer und genauer geschrieben worden.
Er legte das Buch wieder weg, drehte sich um und wäre beim Hinausgehen beinahe mit Seth zusammengestoßen, der in der Tür stand.
»Was machen Sie hier?«
»Dieses Buch«, sagte Banks, »wofür benutzen Sie das?«
»Arbeitsnotizen. Manchmal muss ich neues Material bestellen, Maßangaben oder Kundenadressen aufschreiben. Dafür benutze ich das Buch.«
»Da fehlt eine Seite.« Banks zeigte es ihm. »Was bedeutet das: 1139?«
»Sie werden nicht erwarten, dass ich mich daran erinnern kann«, sagte Seth. »Das muss lange her gewesen sein. Wahrscheinlich das eine oder andere Maß.«
»Warum haben Sie die Seite herausgerissen?«
Seth schaute ihn mit seinen dunkelbraunen Augen misstrauisch und verärgert an. »Keine Ahnung. Vielleicht war es unwichtig. Vielleicht habe ich etwas auf die Rückseite geschrieben, eine Notiz, die ich irgendwohin mitnehmen musste. Das ist nur ein altes Notizbuch.«
»Aber es fehlt nur eine Seite. Kommt Ihnen das nicht komisch vor?«
»Ich sagte bereits, dass es ganz normal ist.«
»Haben Sie die Seite herausgerissen, um sie Paul Boyd zu geben? Ist das hier eine Nummer, die er anrufen kann? Oder Teil einer Adresse?«
»Keine Ahnung.«
»Ich muss dieses Notizbuch mitnehmen.«
»Warum?«
»Da drin stehen Namen und Adressen. Wir müssen sie überprüfen und schauen, ob Boyd eine von ihnen aufgesucht hat. Soweit ich weiß, hat er hier ziemlich oft mit Ihnen
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