Inspector Alan Banks 03 Ein unvermeidlicher Mord
und hatte eine weiße Weste, allerdings hatte er eben an dem Seminar teilgenommen, durch das er bei der Special Branch aktenkundig geworden war.
Abha Sutton war in Bradford als Tochter einer Inderin und eines Einheimischen geboren worden. Auch sie entstammte der anständigen Mittelklasse, und wie bei Tim - Richmond hatte versucht, es Burgess beizubringen - gab es in ihrer Vergangenheit weder Gewaltdelikte noch hatte sie mit extremistischen Gruppen zu tun. Seit sechs Monaten lebte sie nun mit Tim zusammen, gemeinsam hatten sie die Marxistische Gesellschaft am College gegründet, die jedoch nur wenige Mitglieder hatte. Viele Studenten waren hier ansässige Bauernsöhne, die Landwirtschaft studierten. Doch die sozialwissenschaftliche Abteilung und die Fakultät für Kunst wuchsen, außerdem hatten sie ein paar Mitglieder aus den literarischen Kreisen rekrutiert.
Als er zu Dennis Osmonds Akte kam, las Banks noch etwas gründlicher. Osmond war fünfunddreißig, geboren in Newcastle-on-Tyne. Sein Vater hatte dort bei den Werften gearbeitet, doch als Osmond zehn Jahre alt war, wurde er entlassen und die Familie war gezwungen wegzuziehen. Mr. Osmond hatte einen Job in der Schokoladenfabrik gefunden, wo er als strammer Gewerkschafter bekannt und in seinen letzten Jahren in die erbitterten und manchmal gewaltsamen Tarifverhandlungen verwickelt gewesen war. Obwohl Osmond anfänglich nach geistig Anspruchsvollerem gestrebt hatte, war er politisch in die Fußstapfen seines Vaters getreten.
Ein Radikaler das ganze Studium hindurch, war er nach seinem dritten Jahr mit der Begründung von der Universität abgegangen, dass die dort vermittelte Bildung nichts weiter war als eine Indoktrination mit bürgerlichen Werten. Danach hatte er als Sozialarbeiter in Eastvale begonnen und machte diesen Job seit mittlerweile zwölf Jahren. Während dieser Zeit war er gemeinsam mit Dorothy Wycombe zum wichtigsten Sprecher in der Stadt für die Unterdrückten, Vernachlässigten und ungerecht Behandelten geworden. Außerdem hatte er Ellen Ventner, eine ehemalige Lebensgefährtin, zusammengeschlagen. Einige seiner Freunde gehörten genau zu der Sorte Menschen, die Burgess am liebsten auf der Stelle erschossen hätte: Vertrauensleute der Gewerkschaft, Feministinnen, Dichter, Anarchisten und Intellektuelle.
Wie viel Gutes Osmond auch für diese Gegend getan haben mochte, Banks konnte immer noch nicht anders, als den Mann abzulehnen und in ihm irgendwie einen Scharlatan zu sehen. Er konnte nicht verstehen, was Jenny zu ihm hinzog, es sei denn, es war etwas rein Körperliches. Und natürlich wusste Jenny immer noch nicht, dass Osmond einmal gegen eine Frau tätlich geworden war.
Es war nach ein Uhr, Zeit für eine Pastete und ein Pint im Queen's Arms. Doch kaum hatte es sich Banks in seinem Lieblingssessel am Kamin gemütlich gemacht, um den Guardian zu lesen, da kam Constable Craig in den Pub gestürmt.
»Sie haben ihn, Sir«, sagte er atemlos. »Boyd. Sie haben ihn geschnappt, als er gerade auf die Fähre um halb zwölf nach Larne wollte.«
Banks schaute auf seine Uhr. »Hat ja lange gedauert, bis sie sich bei uns gemeldet haben. Halten sie ihn fest?«
»Nein, Sir. Sie bringen ihn her. Sie sagten, sie wären so am späten Nachtmittag hier.«
»Na, dann haben wir ja keine Eile, oder?« Banks zündete sich eine Zigarette an und raschelte mit der Zeitung. »Scheint also alles vorbei zu sein.«
Aber er hatte nicht das Gefühl, als wäre alles vorbei. Vielmehr hatte er das Gefühl, dass jetzt erst alles begann.
* II
Burgess lief durch das Büro wie ein werdender Vater, paffte seine Zigarre und schaute alle zehn Sekunden auf die Uhr.
»Wo zum Teufel bleiben die denn?«, wollte er, so erschien es Banks, zum hundertsten Mal an diesem Nachmittag wissen.
»Bald. Es ist eine lange Fahrt, und die Straßenverhältnisse können bei dem Wetter unangenehm sein.«
»Sie sollten doch längst hier sein.«
Die zwei warteten in Banks' Büro auf Paul Boyd. Da er die Beute witterte, schien sich Burgess nicht mehr entspannen zu können. Banks fühlte sich dagegen ungewöhnlich ruhig. Entlang der Market Street machten die Ladenbesitzer Feierabend, es wurde bereits dunkel. Im Büro keuchte die Heizung, Leuchtstoffröhren brummten.
Banks drückte seine Zigarette aus. »Ich hole mir einen Kaffee«, sagte er. »Wollen Sie auch einen?«
»Ich bin so schon nervös genug. Ach, zum Teufel. Warum
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