Inspector Alan Banks 03 Ein unvermeidlicher Mord
Tatsächlich bezweifelte Banks, dass sie irgendetwas mit dem Mord zu tun hatten. Vor allem verband sie mit den Bewohnern der Farm kaum mehr als das gemeinschaftliche Interesse, die menschliche Rasse vor der totalen Auslöschung retten zu wollen.
Osmond jedoch war ein Freund von Rick, Seth und den anderen. Er war häufig oben auf der Farm gewesen, außerdem kannte er Gills Nummer bereits, denn er hatte sie in seiner Beschwerde benutzt. Vielleicht hatte sogar er sie in das Notizbuch geschrieben, oder er hatte sie dort stehen sehen und wiedererkannt. Paul Boyd mochte in dem Punkt die Wahrheit erzählt haben, dass er Constable Gill nicht getötet hatte, aber war er ein Komplize gewesen? Waren zwei Leute an der Tat beteiligt gewesen?
Wie so viele von Banks Grübeleien führte auch diese zu weit mehr Fragen als Antworten. Manchmal dachte er, er könnte einen Fall nur dann lösen, nachdem er ein Übermaß an Fragen formuliert hatte. Wenn der Sättigungsgrad erreicht war, produzierte dann der Überschuss die Antworten.
Doch bevor er irgendetwas anderes tat, musste er erst einmal etwas gegen sein Magenknurren unternehmen. Verbrannter Toast war für einen Ermittler kein ausreichender Treibstoff.
Auf dem Weg zu einem zweiten Frühstück im Golden Grill traf er auf Mara Delacey, die gerade das Revier betrat.
»Ich möchte Paul sehen«, sagte sie und fuchtelte mit der Morgenzeitung herum. »Hier steht, dass Sie ihn verhaftet haben. Stimmt das?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Unten.«
»Geht es ihm gut?«
»Selbstverständlich. Für wen halten Sie uns, für die spanische Inquisition?«
»Burgess würde ich alles zutrauen. Kann ich Paul sehen?«
Banks überlegte einen Moment. Eine solche Erlaubnis zu geben wäre ungewöhnlich, und Burgess wäre es nicht recht, wenn er davon erfahren würde, aber eigentlich gab es keinen Grund, warum Mara Paul nicht sehen sollte. Außerdem hätte Banks dadurch die Gelegenheit, ihm in Maras Anwesenheit ein paar Fragen zu stellen. Wenn Freunde oder Feinde in der Nähe waren, gaben die Menschen durch Körpersprache und Mienenspiel oft mehr preis, als sie beabsichtigten.
»In Ordnung«, sagte er und führte sie die Treppen hinab. »Aber ich werde dabei sein müssen.«
»Wie Sie sehen können, habe ich ihm keine Geburtstagstorte mit einer Feile drin mitgebracht.«
Banks lächelte. »Die würde ihm auch nicht viel helfen. Vor den Fenstern sind keine Gitter. Er könnte nur zur Treppe fliehen und müsste dann hier hochlaufen.«
»Aber seine Klaustrophobie«, sagte Mara erschrocken. »Das muss ja unerträglich für ihn sein.«
»Wir haben einen Arzt.« Banks genoss seinen kleinen Sieg über Burgess' Gefühllosigkeit. »Er hat ein Beruhigungsmittel bekommen, das scheint ihm zu helfen.«
Die vier Zellen waren der modernste Teil des Gebäudes. Kürzlich noch mit den Demonstranten überfüllt, waren sie jetzt bis auf Paul Boyd leer. Mara schien überrascht, saubere, weiße Fliesen und helles Licht statt dunkler, feuchter Steinmauern vorzufinden. Das einzige Fenster, hoch und tief in die Wand angelassen, war ungefähr dreißig mal dreißig Zentimeter groß und fast genauso dick. Die Zellen erinnerten Banks immer so sehr an ein Krankenhaus, dass er jedes Mal, wenn er hier herunterkam, glaubte, Karbolsäure riechen zu können.
Boyd saß auf der Pritsche und starrte durch die Gitterstäbe auf seine Besucher.
»Hallo«, sagte Mara. »Es tut mir Leid, Paul.«
Boyd nickte.
Banks konnte die Spannung zwischen ihnen spüren. Teilweise hatte sie mit seiner Anwesenheit zu tun, das wusste er, aber sie schien noch tiefer zu gehen, so als wären sie unsicher, was sie sich sagen sollten.
»Geht es dir gut?«, fragte Mara.
»Ich bin okay.«
»Wirst du zurückkommen?«
Paul starrte Banks zornig an. »Keine Ahnung. Sie wollen mich unbedingt wegen irgendwas anklagen.«
Banks erklärte die Verfahrensweise.
»Also könnte er trotzdem wegen Mordes inhaftiert sein?«, fragte Mara.
»Ja.«
Tränen standen in ihren Augen. Paul starrte sie misstrauisch an, so als wäre er sich nicht sicher, ob sie nur spielte oder nicht.
Banks durchbrach die angespannte Stille. »Sagt dir die Nummer 1139 irgendetwas?«, wollte er von Boyd wissen.
Paul schien die Frage zu überdenken, und seine Antwort war ein unmissverständliches Nein. Banks hatte den Eindruck, dass er die Wahrheit sagte.
»Was
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