Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
vertuscht, da sollen unschöne Aspekte der eigenen Persönlichkeit im Verborgenen bleiben, man ist unfähig, sich den Tatsachen zu stellen, oder will einfach nicht mit hineingezogen werden. Aber merken Sie denn nicht, wohin uns das führt? Wenn wir einer Reihe Personen gegenüberstehen, die alle eng mit dem Opfer verbunden waren, und diese Personen uns alle belügen, dann könnte eine von ihnen durchaus die Unwahrheit sagen, um einen Mord zu vertuschen.«
»Aber Sie werden doch bestimmt einen Instinkt haben, oder nicht? Manchen Leuten müssen Sie doch trauen.«
»Ja, stimmt. Mein Instinkt sagt mir, dass Sie Caroline nicht umgebracht haben. Aber ich wäre ein kompletter Idiot, wenn ich zulasse, dass mein Herz meinen Kopf beherrscht, und dadurch ein wichtiges Beweisstück übersehe. Das ist das Problem. Wenn man seinen Instinkten vertraut, kann man manchmal dem Offensichtlichen gegenüber blind werden. Ihnen habe ich bereits viel zu viel erzählt.«
»Sagt Ihnen Ihr Instinkt, wer sie getötet hat?«
Banks schüttelte den Kopf und schnippte die Asche seiner Zigarette in das Feuer. »Leider nicht. In gewissem Sinne hat Gary Hartley gestanden, aber ...« Er erzählte ihr, was in Harrogate vorgefallen war. Veronica beugte sich vor und faltete die Hände auf ihrem Schoß, während er sprach.
»Der arme Junge«, meinte sie, als er fertig war. »Kann ich irgendetwas tun?«
»Ich glaube nicht. Er wird im Moment gerade psychiatrischen Tests unterzogen. Aber der Punkt ist, dass er, was auch immer er getan hat, Caroline nicht getötet hatte. Wenn er zum Ende hin, als er die ganze Geschichte erfahren hatte, überhaupt etwas für Caroline empfunden hat, dann Mitleid. Er hat sich gegen seinen Vater gewendet, mit all seinem jahrelangen, aufgestauten Hass. Ich kann mir immer noch nicht recht vorstellen, welche Qual es für beide gewesen sein muss. Der alte Mann, unfähig, sich selbst zu helfen, unfähig, aus dem Bett zu kommen, ist verhungert und hat in seinen eigenen Ausscheidungen gelegen; und Gary unten hat sich betrunken und zugehört, wie die schwachen Schreie und Zeichen immer matter wurden, im Wissen, dass er langsam seinen eigenen Vater tötete.« Banks erschauderte.
»Vielleicht macht es keinen Sinn, auf ein paar Dingen weiter herumzureiten. Aber das alles bringt uns Carolines Mörder nicht näher.«
»Was ich nicht verstehen kann, ist das >Warum<«, sagte Veronica. »Wer nur könnte einen Grund gehabt haben, Caroline umzubringen?«
»Wenn wir das wüssten.« Banks nahm einen Schluck Tee. »Ich dachte, es könnte etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun haben, aber weder Ruth Dünne noch Colm Grey, der Vater ihres Kindes, hatten etwas damit zu tun. Wenn es nicht eine sehr verworrene Verbindung gibt, so wie ein unbefriedigter Freier, der zurückkommt und Rache übt, was kaum wahrscheinlich ist, können wir nur mutmaßen, dass es jemand war, den sie kannte, jemand, der nicht vorgehabt hatte, sie zu töten.«
»Woher wissen Sie das?«
»Es gab keine Anzeichen dafür, dass sich jemand gewaltsam Zutritt verschafft hat, und die Waffe lag einfach griffbereit da.«
»Aber sie kannte nicht sehr viele Leute«, sagte Veronica. »Das hilft Ihnen doch bestimmt weiter.«
»Ja und nein. Wenn sie nur wenige Menschen sehr gut kannte, wie konnte sie dann jemanden so sehr kränken, dass der- oder diejenige sie töten wollte?«
»Warum sagen Sie kränken? Vielleicht haben Sie Unrecht. Vielleicht hat sie etwas herausgefunden, was jemand nicht preisgeben wollte, oder sie hat etwas gesehen, was sie nicht sehen sollte.«
»Aber nach allem, was mir jeder gesagt hat, Sie eingeschlossen, hat sie sich vor ihrem Tod kein bisschen seltsam benommen. Und wenn es so gewesen wäre, wie Sie meinen, dann hätte sie das bestimmt getan.«
Veronica schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht ... sie könnte es für sich behalten und nur so getan haben, als ob ... mir zuliebe.«
»Aber diesen Eindruck hatten Sie doch nicht, oder? Ihr Instinkt hat Ihnen das nicht gesagt?«
»Nein. Aber andererseits weiß ich nie, ob ich meinen Instinkten trauen soll oder nicht. Ich habe Fehler gemacht.«
»Das haben wir alle«, sagte Banks. »Aber Sie haben Recht, andere Motive in Erwägung zu ziehen. Wir sollten die Möglichkeit nicht übersehen, dass jemand einen sehr praktischen Grund hatte, sie loswerden zu wollen. Das Problem ist nur, dass man das Motiv dafür noch schwerer erkennt, denn es
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