Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
genug.«
Obwohl sich kaum etwas Wahrnehmbares in Chalmers' Miene veränderte, spürte Susan, dass das, was sie gesagt hatte, ihn beunruhigte. Er glaubte zwar nicht, dass der andere bereits ausgesagt hatte, aber anscheinend war Billy Morley nicht so hart wie er, sondern nervöser und leichter zu knacken. Chalmers zuckte nur mit den Achseln und lümmelte sich wieder auf den Stuhl, wobei er für eine Sekunde die Zähne zusammenbiss. Er steckte seine Hände in die Taschen und tat so, als würde er zur Decke pfeifen.
Auf dem Weg ins nächste Zimmer blieb Susan stehen und lehnte sich gegen die Wand, um ein paarmal tief Luft zu holen. Egal wie oft sie schon mit ihnen zu tun gehabt hatte, Menschen wie Chalmers machten ihr Angst. Sie machten ihr mehr Angst als Menschen, die ein Verbrechen aus Leidenschaft oder Habgier begingen. Sie konnte im Geist ihren Vater hören, der sich über die jüngere Generation ausließ. Zu seiner Zeit, so lautete die Legende, hätten die Menschen Angst vor der Polizei gehabt und das Gesetz respektiert. Heutzutage jedoch scherten sie sich einen Dreck darum; sie würden jederzeit einen Polizisten niederschlagen und sich der Verantwortung entziehen. Sie musste zugeben, dass in seinen Worten eine gehörige Portion Wahrheit lag. Banden hatte es immer gegeben, Jugendliche hatten immer Unfug angestellt und waren manchmal zu weit gegangen, aber wenn die Polizei ankam, waren sie für gewöhnlich weggelaufen. Heutzutage schien ihnen selbst das gleichgültig zu sein. Warum war es so weit gekommen? War das Fernsehen schuld daran? Vielleicht zum Teil. Aber es steckte noch mehr dahinter. Vielleicht waren sie Autoritäten gegenüber zynisch geworden, nachdem sie von zu vielen korrupten Politikern, verdorbenen Richtern und bestochenen Polizeibeamten gelesen hatten. Alles war nur noch ein faules Spiel, nichts wurde mehr wirklich ernst genommen. Aber es war nicht Susans Job, die Gesellschaft zu analysieren, sondern die Wahrheit aus diesen Scheißkerlen herauszukriegen.
Nachdem sie noch ein letztes Mal tief Luft geholt hatte, ging sie in das nächste Büro, um Billy Morley gegenüberzutreten.
Dieser junge Mann, bewacht von Constable Wilson, den eine kleine Schnittwunde über seinem linken Auge zierte, schien tatsächlich etwas nervöser als sein Freund zu sein. Bei einer dünnen, fast schon ausgezehrten Figur hatte er ein pickeliges, rattenhaftes Gesicht und dunkle, rastlose Augen, deren Blicke durch den ganzen Raum schnellten. Er saß aufrecht in seinem Stuhl, rieb seinen Oberarm und fuhr mit der Zunge über seine dünnen Lippen.
»Sind Sie die Anwältin?«, wollte er voller Hoffnung wissen. »Der Mistkerl hier hat mir fast den Arm gebrochen. Hat mich mit seinem Knüppel geschlagen.«
»Du hast dich der Verhaftung widersetzt«, stellte Constable Wilson fest.
»Gar nicht. Ich habe mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert.«
»Genau«, spottete Wilson, »du und dein Brecheisen.«
»Das ist nicht meins. Es ist...«
»Ja?«, fragte Wilson.
Er verschränkte seine Arme. »Ich sage gar nichts mehr.«
Mittlerweile hatte Susan sich hingesetzt und es sich auf dem harten, heruntergeschraubten Stuhl so bequem wie möglich gemacht. Zuerst gab sie Constable Wilson das Signal, sich in den Hintergrund zurückzuziehen und Notizen zu machen, dann musterte sie Morley. Er flößte ihr nicht annähernd so viel Angst ein wie Chalmers. Eigentlich, dachte sie, war er ein schwacher Kerl, besonders, wenn er allein war. Außerdem war er der Jüngere der beiden. Chalmers, vermutete sie, war ein wirklich schwieriger Fall; doch Morley war lediglich ein Mitläufer und im Grunde seines Herzens ein Feigling. Chalmers hatte das gewusst und dieses Wissen war ihm einen Moment lang anzusehen gewesen. Bei jemandem wie Morley, der wahrscheinlich jedes Mal angelaufen kam, wenn seine Mutter nach ihm rief, würde Susan einen Vorteil dadurch haben, dass sie eine Frau war.
»Ich bin nicht deine Rechtsanwältin, William«, sagte Susan. »Ich bin Detective Constable. Ich bin hier, um dir ein paar Fragen zu stellen. Dir steht eine ernsthafte Anklage bevor. Verstehst du das?«
»Was meinen Sie damit?«
»Schwerer Hausfriedensbruch und Raub. Nach Abschnitt 10 des Strafgesetzes könntest du für mindestens fünf Jahre ins Gefängnis wandern. Dazu kommt noch Widerstand gegen die Staatsgewalt und Angriff auf einen Polizeibeamten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dich jeder Richter
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