Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
Fröhliche Weihnachten.«
»Ihnen auch.«
Banks legte auf, ging zurück zum Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Was zum Teufel störte ihn eigentlich an der Musik? Warum sollte sie etwas bedeuten? Er musste so viel wie möglich über Vivaldis Laudate pueri herausfinden, und zwar über alle vier Versionen. Claude Ivers räumte ein, sie zu kennen, aber das hatte gar nichts zu bedeuten. Er musste gewusst haben, dass er sich als Musiker lächerlich machen würde, wenn er Unkenntnis vortäuschte. Banks wäre sofort noch misstrauischer geworden. Aber Ivers wusste mehr, als er vorgab, das stand fest. Und ebenso Patsy Janowski, mit ihrem unsteten Blick. Geben wir ihnen Zeit, dachte er, während er rauchend auf die Brueghel-Szenerie hinabschaute, sie werden schon nicht weglaufen. Sollen sie sich ruhig in Sicherheit wiegen ...
* VIER
* I
James Conran wohnte in einem kleinen Reihenhaus am nordwestlichen Stadtrand, dort, wo der Cardigan Drive die North Market Street kreuzte und zur Hauptstraße von Swainsdale wurde. Im hinteren Teil seines Wohnzimmers stand auf einem Tisch neben dem Fenster eine manuelle Schreibmaschine. Der Blick nach Westen über das in Schnee gehüllte Swainsdale war großartig. Bücherregale mit Büchern zu allen Themen flankierten den Tisch auf beiden Seiten. Banks verschaffte sich einen schnellen Überblick: Geschichte, Theater, Musik, aber so gut wie keine Romane. Vor dem Kamin, in dem ein Torffeuer schwelte, bildeten ein kleines Sofa und zwei dazu passende Sessel einen Halbkreis. An der Wand über dem Kaminsims hing das Plakat einer Vorstellung von The Duchess of Malfi in Stratford. Einen Fernseher gab es nicht, dafür stand gegenüber dem Kamin eine Stereoanlage mit CD-Player. Banks überflog die Platten und CDs, bei denen es sich hauptsächlich um Werke klassischer Komponisten handelte: Beethoven, Zelenka, Bax, Stanford, Mozart, Elgar. Er besaß auch ein paar Platten von Vivaldi, einschließlich einer Aufnahme des Stabat Mater, jedoch keine des Laudate pueri.
Nachdem Conran Banks erzählt hatte, dass Susan einmal seine Schülerin gewesen war, konnte er gar nicht mehr von ihr lassen und bot an, Tee aufzusetzen. Sie und Banks nahmen dankend an.
»Schöne Plattensammlung«, meinte Banks. »Sind Sie Musiker?«
»Nur hobbymäßig«, antwortete Conran. »Als Kind habe ich im Kirchenchor gesungen, danach in einer Amateurtruppe in York. Außerdem habe ich für ein paar Jahre den Chor der Gesamtschule von Eastvale geleitet. Allerdings mehr deswegen, weil sich niemand anderer für die Aufgabe gefunden hat. Aber damit erschöpfen sich auch schon meine musikalischen Fähigkeiten. Ich bin jedoch ein guter Zuhörer.«
Während Conran in der Küche Tee machte, fuhr Banks fort, Bücher- und Plattentitel zu lesen. Seiner Meinung nach bekam man ein Gespür für die Menschen, wenn man ihren Literatur- und Musikgeschmack kannte. Conran las eindeutig nicht zum Vergnügen, sondern um etwas zu lernen, was auf einen gewissen intellektuellen und künstlerischen Ehrgeiz schließen ließ. In seiner ziemlich breit gefächerten Plattensammlung gab es auffällig viele Chorwerke, was vielleicht mit seinen früheren Chorzeiten zu tun hatte. Die Tatsache, dass er einen CD-Player besaß, zeigte, dass ihm die Klangqualität der Musik wichtig war. Obwohl Veronica Shildon behauptete, klassische Musik zu mögen, besaß sie lediglich eine alte Kompaktanlage mit Wechselplattenspieler. Niemand, der Musik wahrhaftig liebte, würde sie auf einem solch altmodischen Gerät abspielen, besonders wenn er sich ein besseres leisten konnte. Nein, die Musik gehörte nicht zu Veronica Shildons Prioritäten, ihre lagen woanders - vielleicht in der Einrichtung, im Schaffen eines behaglichen und gemütlichen Heims. Conran hingegen schätzte künstlerische Genüsse eindeutig mehr als materielle.
Banks wärmte seine Hände vor dem Feuer. »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie Caroline Hartley während der Proben zu Was ihr wollt ziemlich gut kennen gelernt haben«, sagte er. »Können Sie uns etwas über sie erzählen?«
»Was zum Beispiel?«
»Einfach alles. Ihre Gewohnheiten, ihre Stimmungen, Ihr Eindruck von ihr. Glauben Sie mir, jede Kleinigkeit hilft uns weiter.«
»Das ist schwierig«, sagte Conran. »Ich meine, so gut kannte ich sie nicht. Eigentlich keiner von uns.«
»Was für eine Beziehung hatten Sie zu ihr?«
Conran runzelte die Stirn. »Beziehung? Ich würde
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