Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
Aber Phil würde sie bald verlassen.
Superintendent Gristhorpe machte ihr ein wenig Angst, vielleicht weil er sie an ihren Vater erinnerte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich immer wie ein dummes, kleines Mädchen.
Banks war dagegen wie ein älterer Bruder. Und genau wie ein Bruder ärgerte er sie gerne, besonders im Zusammenhang mit Musik. Sie war sich sicher, dass er im Auto manchmal absichtlich eine schreckliche Kassette einschob, damit sie sich unwohl fühlte. Als sie sich aber jetzt der verstopften Ringstraße von Leeds näherten, hätte sie eine beruhigende Musik begrüßt.
Susan war gerade dabei, sich eine schöne Sammlung klassischer Musik anzulegen. Jeden Monat kaufte sie ein Magazin, in dem sich eine Gratis-CD mit Ausschnitten der besprochenen Werke befand. Dazu gab es eine exakte zeitliche Aufgliederung der Stellen, auf die man achten sollte. Das klang dann zum Beispiel so: »6:25: Das warme und sonnige Motiv des Frühlingstages wird wieder aufgenommen.« Oder: »4:57: Das zweite Thema ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Blechbläser und Holzbläser.« Sie hielt das für sehr hilfreich, und wenn ihr der gehörte Ausschnitt gefiel, kaufte sie sich zuweilen das gesamte Werk - es sei denn, es handelte sich um eine lange und teure Opernaufnahme. Im Moment war ihr Lieblingsstück Beethovens 6. Sinfonie, die »Pastorale«. Sie wusste, dass Banks diese Vorliebe würde zu schätzen wissen, aber es war ihr peinlich, ihm davon zu erzählen.
Unvermittelt musste sie an ihr Gespräch mit Tom Rothwell am Fluss und an die Leiden denken, die er durchgemacht haben musste. Als Homosexueller hatte man es nirgendwo leicht, stellte sie sich vor, aber besonders hart war es wohl in Yorkshire, wo sich die Männer ihrer Männlichkeit rühmten und von den Frauen verlangt wurde, dass sie wussten, wo sie hingehörten, und dort gefälligst zu bleiben hatten.
Ein Paradebeispiel für diese Yorkshirer Mannhaftigkeit saß gerade neben ihr, dachte sie, ein Produkt aus RugbyLiga-Seligkeit, Roastbeefs und unzähligen Pints Bitter. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, was er an ihrem Parfüm abstoßend fand. Für ihren Geschmack roch es auf jeden Fall mehr als angenehm, außerdem benutzte sie es nur sparsam.
Der Verkehr auf dem Ring kam ins Stocken, und Hatchley saß da mit dem zerfledderten Stadtplan von Leeds und Bradford auf dem Schoß und schielte nach Straßenschildern. Er war einer von den Beifahrern, die »Hier abbiegen!« schrien, während man gerade an der Abzweigung vorbeifuhr. Nach mehreren falschen Richtungsangaben und einigen haarsträubenden Wendemanövern hielten sie schließlich vor Kandidat Nummer eins, einem Zeitungshändler am Rande einer heruntergekommenen Sozialbausiedlung in Gipton.
Zwei verwahrloste Jugendliche stolzierten eben nach draußen, als Susan und Hatchley hineingingen. Das Mädchen hinter dem Tresen war höchstens fünfzehn oder sechzehn. Sie war bleich wie ein Gespenst und dürr wie eine Bohnenstange. Ihr braunes, mit silbernen, roten und grünen Strähnchen durchzogenes Haar wippte unfrisiert auf ihrem Kopf, ein paar wilde Zotteln fielen wie Schlangen auf ihren weißen Hals und das Gesicht und bedeckten eines ihrer zu stark geschminkten Augen.
Es sah so aus, als hätte sie einen kleinen, hübschen Mund unter dem vollen Schmollmund, den sie sich mit einem bräunlichvioletten Lippenstift aufgemalt hatte. Außerdem nahm Susan einen stechenden Parfümgeruch wahr, den sie sofort als billig einstufte, ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen. Das Mädchen legte ihre mit Ringen beladenen und in lange, knallrote Nägel mündenden Finger auf den Tresen, streckte den beiden ihre knochigen Schultern entgegen und neigte den Kopf auf die Seite. Sie trug ein ausgeleiertes weißes T-Shirt, auf dem mit schwarzer Schrift »Fick dich!« über ihrer flachen Brust geschrieben stand.
»Ist Mr. Drake in der Nähe, Schätzchen?«, fragte Hatchley.
Obwohl sie ihren Kopf nur geringfügig bewegte, tanzten ihre Haare wie Medusas Schlangen. »Hinten«, nuschelte sie, ohne den Rhythmus ihres Kaugummikauens zu unterbrechen.
Hatchley ging zum Tresen und hob die Klappe.
»Hey!«, rief sie. »Sie können da nicht so einfach durchgehen.«
»Ach, kann ich nicht, Schätzchen? Meinst du, ich muss mich hier ganz offiziell anmelden?« Hatchley zog seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn ihr so dicht vor die Augen, dass sie beim Lesen schielte. »Vielleicht möchtest du dein
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