Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
Sir?«
»Ja. Ja, selbstverständlich. Aber Sie müssen das verstehen, Miss, Miss ...?«
»Gay, Sir. Detective Constable Gay.«
Sie sah unwillkürlich ein Lächeln über sein Gesicht huschen. So lächelten die Menschen häufig, wenn sie sich vorstellte. Als sie ein Kind war, war »Gay« ein vollkommen anständiger Name gewesen; heutzutage hatte sich die Bedeutung allerdings entschieden geändert und jeder machte nur noch seine dummen Witze über diesen Ausdruck für Homosexuelle. Ein oberschlaues Arschloch hatte sie tatsächlich einmal gefragt, ob sie aktiv oder passiv im Dienst sei. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass er jetzt hauptsächlich aufgrund ihrer Aussage vor Gericht seine Jahre abzusitzen hatte.
»Ja«, fuhr er fort, während ein Stirnrunzeln schnell das Lächeln ablöste. »Ich habe natürlich von Keith' Tod gehört, im Radio heute Mittag, aber es wurde nicht gesagt, wie es passiert ist. Das ist ein ganz schöner Schock, um ehrlich zu sein. Verstehen Sie, ich kannte Keith ziemlich gut. Ich bin nur drei Jahre älter als er und wir haben hier einige Jahre zusammengearbeitet.«
»Er hat die Kanzlei vor fünf Jahren verlassen, ist das richtig?«
»So ungefähr. Eine große Veränderung wie diese erfordert einiges an Planung und an Organisation. Zum Beispiel mussten Akten von Klienten übertragen werden und solche Dinge. Und er musste auch an die Kanzlei denken.«
»War er Teilhaber?«
»Ja. Mein Vater, Jeremiah Pratt, war einer der Gründer der Kanzlei. Er ist jetzt im Ruhestand.«
»Ich habe gehört, die Familie Rothwell lebte früher in Eastvale, stimmt das?«
»Ja. In einem ganz hübschen Haus in Richtung des Kreisels nach York. Catterick Street.«
»Warum sind sie umgezogen?«
»Mary wollte immer auf dem Land leben. Ich habe keine Ahnung, warum. Sie war ganz und gar kein Naturkind. Ich glaube, sie wollte wohl die Gutsherrin spielen.«
»Ach. Warum?«
Pratt zuckte mit den Achseln. »So ist sie nun einmal.«
»Und ihr Mann?«
»Keith war es egal. Ich könnte mir vorstellen, dass ihm die Einsamkeit gefallen hat. Er war zwar nicht gerade ungesellig, aber er hat sich auch nicht gerne unters Volk gemischt, auf jeden Fall in letzter Zeit nicht. Außerdem war er häufig verreist.«
Pratt war Mitte vierzig, schätzte Susan, womit er tatsächlich nur ein paar Jahre älter als Keith Rothwell war. Recht gut aussehend, mit einem ausgeprägten Kinn und grauen Augen, hatte er die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt und seine in Malve und Grün gehaltene Krawatte mit einem Clip befestigt, der aussah wie ein silbernes Dollarzeichen. Sein Haaransatz ging zurück, das verbliebene Haar war grau an den Schläfen. Er trug eine Brille mit schwarzer Fassung, die mitten auf seinem Nasenrücken saß.
»Haben Sie ihn dort draußen mal besucht?«
»Ja. Meine Frau und ich haben zu verschiedenen Gelegenheiten mit den Rothwells gegessen.«
»Waren Sie befreundet?«
Pratt nahm noch einen Schluck von seinem Cognac. »Mmmh. Wir waren irgendetwas zwischen Freunden und Kollegen, würde ich sagen.«
»Warum hat er Hatchard und Pratt verlassen?«
Pratt unterbrach den direkten Augenkontakt und schaute in die Flüssigkeit, die er in seinem Glas schwenkte. »Vielleicht aus Ehrgeiz. Die simple Buchhaltung hat ihn gelangweilt. Er hat sich gerne mit abstrakten Dingen beschäftigt und konnte gut mit Zahlen umgehen. Auf jeden Fall hatte er Talent für das Finanzmanagement. Da war er sehr kreativ.«
»Bedeutet das betrügerisch?«
Pratt schaute zu ihr hoch. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. »Diese Anspielung gefällt mir nicht«, sagte er.
»Gab es irgendwelche Unstimmigkeiten?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Als er die Kanzlei verlassen hat. Hat es da Streit gegeben oder Probleme?«
»Großer Gott, das war vor fünf Jahren!«
»Trotzdem.«
Pratt schlug einen härteren Ton an. »Nein, das gab es natürlich nicht. Alles verlief völlig freundschaftlich. Selbstverständlich tat es uns Leid, ihn zu verlieren, aber ...«
»Er ist nicht gefeuert worden oder so?«
»Nein.«
»Hat er Klienten mitgenommen?«
Pratt rutschte auf seinem Stuhl umher. »Es wird immer Klienten geben, die sich eher einem bestimmten Mitarbeiter einer Kanzlei verpflichtet fühlen als der ganzen Kanzlei.«
»Sind Sie sicher, dass das nicht zu Unstimmigkeiten
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