Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
waren. Banks hatte den Eindruck, dass ihre beiderseitige Selbständigkeit, einst eine Stärke ihrer Ehe, mittlerweile zu einer Bedrohung geworden war.
Und während Sandra geschlafen hatte wie ein Stein, hatte sich Banks, aufgewühlt durch den Rothwell-Fall, die ganze Nacht neben ihr hin- und hergeworfen und war in den kurzen, unruhigen Schlafperioden von wechselnden Bildern wie dem pornografischen Papierschnipsel oder der kopflosen Leiche verfolgt worden. Jetzt war es halb neun Uhr am Morgen; seine Augen fühlten sich an wie Schmirgelpapier und sein Kopf, als wäre er mit Baumwolle gefüllt.
Die überregionalen Tageszeitungen und die Radionachrichten brachten Berichte über den Mord an Keith Rothwel - zwischen Meldungen über die blutige Niederschlagung von Aufständen auf einer Karibikinsel, wo sich mal wieder die Terrorherrschaft eines Diktators ihrem Ende näherte, und über einen Parlamentsabgeordneten, der auf der Gemeindewiese von Clapham in flagranti mit einem sechzehnjährigen Stricher erwischt worden war. Wenn sich das in einer etwas vornehmeren Gegend wie Hampstead Heath ereignet hätte, wäre es wahrscheinlich nicht einmal eine Zeitungsmeldung wert gewesen, dachte Banks.
Trotz des ganzen Trubels um das Pokalfinale am Nachmittag würde der Mord an Rothwell sicherlich auch Thema im Fernsehen sein, aber Banks hatte schon immer eine Abneigung dagegen gehabt, die Kiste am helllichten Tage anzustellen.
Mittlerweile wurde in den Medien bereits darüber spekuliert, dass hinter dem Mord mehr stecken musste, als ein eskalierter häuslicher Streit oder ein schief gelaufener Einbruch. Den Radionachrichten zufolge waren Scotland Yard, Interpol und das FBI eingeschaltet worden. Das war, dachte Banks, gelinde gesagt, eine Übertreibung. Die Amerikaner waren um Hilfe gebeten worden, Tom Rothwell aufzuspüren, wobei nach Banks Wissen die Florida State Police und nicht das FBI involviert war. Interpol warfen die Reporter heutzutage sicherheitshalber immer mit in den Topf, und was Scotland Yard anging, so handelte es sich um eine glatte Lüge.
Banks überflog die Berichte in der Yorkshire Post und The Independent, um zu schauen, ob eine der Zeitungen mehr wusste als die Polizei. Das war manchmal der Fall und es konnte verdammt peinlich sein. Dieses Mal allerdings nicht. Genau wie für den Rest der Bevölkerung war Rothwell für sie nicht mehr als ein »ruhiger, bescheidener, ortsansässiger Steuerberater und Geschäftsmann«.
»Noch Kaffee?«
Banks schaute auf und sah Sandra in ihrem marineblauen Morgenmantel und mit nassem Haar, das auf den Frotteestoff über ihren Schultern fiel, vor der Kaffeemaschine stehen. Er hatte sie nicht herunterkommen hören.
»Gerne.« Er hielt seine Tasse hoch.
Sandra schenkte ihm nach, steckte dann Brot in den Toaster und nahm die Yorkshire Post. Nachdem sie den Artikel über Rothwell gelesen hatte, pfiff sie durch die Zähne. »Bist du deshalb gestern Abend so spät nach Hause gekommen?«
»Mmmh«, brummte Banks.
Der Toast schnellte hoch. Sandra legte die Zeitung beiseite und nahm das Brot heraus. »Ich bin ihr ein paar Mal begegnet«, sagte sie über die Schulter und butterte ihren Toast.
Banks faltete den Independent zusammen und betrachtete Sandras Profil. Wenn es nass war, sah ihr Haar natürlich dunkler aus, aber eine der Eigenheiten, die Banks besonders attraktiv an ihr fand, war der Kontrast zwischen ihrem blonden Haar und den schwarzen Augenbrauen. Als er sie dieses Mal anschaute, spürte er einen tief sitzenden Schmerz. »Wem?«, fragte er.
»Mrs. Rothwell. Mary Rothwell.«
»Wo bist du denn der über den Weg gelaufen?«
»In der Galerie.«
Sandra leitete die Galerie im Gemeindezentrum von Eastvale, wo sie Kunst- und Fotoausstellungen organisierte.
»Ich wusste gar nicht, dass sie was für Kunst übrig hat.«
»Hat sie eigentlich auch nicht. Ich glaube, für sie gehört das einfach zum guten Ton. Kulturelle Ausflüge mit dem Frauenverein, so was in der Art.« Sandra setzte sich mit ihrem Toast hin und rümpfte die Nase.
Banks lachte. Das Eis zwischen ihnen schien eindeutig zu brechen. »Snob.«
»Wer? Ich?« Sie gab ihm einen leichten Klaps mit der gefalteten Zeitung.
»Auf jeden Fall«, sagte Banks, »steht die arme Frau unter Beruhigungsmitteln. Sie und ihre Tochter haben Rothwells Leiche gesehen, bevor sie uns gerufen haben, und du kannst mir glauben, da hätte jeder eine
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