Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
mehr Sinn machen, den ganzen Ranzen mitzunehmen? Warum sollte sich der Mörder länger als nötig am Tatort herumtreiben?«
»Welche Frage möchten Sie zuerst beantwortet haben?«
Shirley Castle sah ihn streng an. »Warum sollte Deborah Harrisons Mörder am Tatort bleiben und ihren Ranzen durchsuchen, anstatt ihn mitzunehmen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht suchte er nach einer Art Trophäe. Nach einem persönlichen Gegenstand des Opfers.«
»Ist denn etwas vermisst worden?«
»Das wissen wir nicht. Niemand kann mit Genauigkeit ...«
»Sie wissen es nicht. Wir haben gehört, dass Sie sich große Mühe gegeben haben zu beweisen, dass Mr Pierce zur Tatzeit in der Nähe von St. Mary's gesehen wurde, Chief Inspector, aber lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen: Hat jemand gesehen, dass Mr Pierce tatsächlich den Friedhof von St. Mary's betreten hat?«
»Er wurde ...«
»Ein einfaches Ja oder Nein genügt.«
Einen Moment schwieg Banks. »Nein«, sagte er dann.
»Ist es nicht auch möglich, Chief Inspector, dass Deborah Harrison zuerst irgendwo anders hingegangen und später zum Friedhof zurückgekehrt ist, nachdem Mr Pierce bereits ins Peking Moon gegangen war?«
»Das ist möglich. Aber ...«
»Und dass Deborah Harrison von jemandem ermordet worden ist, den sie kannte, vielleicht wegen einer Sache, die sie in ihrem Ranzen mit sich führte?«
Genau das war mein erster Gedanke, dachte Banks. »Ich finde, das ist eine ziemlich abwegige Erklärung.«
»Abwegiger, als Mr Pierce des Mordes anzuklagen?« Sie deutete theatralisch auf Pierce. »Haben Sie die Ermittlung auch in andere Richtungen verfolgt, während Sie damit beschäftigt waren, meinen Mandanten zu belästigen?«
»Wir haben unsere Ermittlungen fortgesetzt. Und beläst...«
Sie rümpfte die Nase. »Sie haben Ihre Ermittlungen fortgesetzt. Was bedeutet das?«
»Wir haben versucht, so viel wie möglich über das Opfer und ihr Leben herauszufinden. Durch Gespräche mit ihren Freundinnen und ihrer Familie haben wir versucht zu ermitteln, ob sie Feinde hatte, ob es jemanden gab, der ihren Tod wollte. Wir haben alle Spuren am Tatort gesammelt, die wir finden konnten, und sie so schnell wie möglich analysiert. Wir haben nichts Konkretes gefunden, bis wir auf Mr Pierce gestoßen sind.«
»Und nachdem Sie auf Mr Pierce gestoßen sind?«
Banks wusste, dass die meisten Ermittlungen zum Erliegen kommen, sobald die Polizei der Meinung ist, den Täter gefunden zu haben. Und so gerne er auch Alternativen verfolgt hätte, es gab andere Arbeit zu erledigen und außerdem gab es Chief Constable Riddle. »Ich habe andere Ermittlungsstränge verfolgt, bis es offensichtlich wurde ...«
»Sie verfolgten andere Ermittlungsstränge? Sobald Sie das erste Mal mit ihm gesprochen hatten, legten Sie sich auf Mr Pierce' Schuld fest, war es nicht so?«
»Einspruch!«
»Stattgegeben. - Miss Castle, bitte unterlassen Sie es, den Zeugen zu beleidigen.«
Shirley Castle verneigte sich. »Euer Ehren, Chief Inspector Banks, ich bitte um Verzeihung. Lassen Sie mich die Frage anders stellen: Mit welcher Einstellung begegneten Sie Mr Pierce?«
»Wir kamen zu der Erkenntnis, dass er ein Hauptverdächtiger ist, und da es keine gegenteiligen Beweise gab, gingen wir daran, auf der üblichen und anerkannten Grundlage eine Anklage gegen ihn vorzubereiten.«
»Ich danke Ihnen, Chief Inspector«, sagte Shirley Castle, nahm Platz und versuchte, gelangweilt auszusehen. »Keine weiteren Fragen.«
»Dann schlage ich vor«, sagte Richter Simmonds, »dass wir die Verhandlung über das Wochenende vertagen. Das Gericht tritt am Montagmorgen um halb elf wieder zusammen.«
* III
Am Montagmorgen passierte genau das, was Owen befürchtet hatte.
Als er später, zurück in seiner Zelle, versuchte, die Abfolge der Ereignisse zu rekonstruieren, war er sich nicht mehr sicher, ob es Jerome Lawrence tatsächlich gelungen war, Michelles Namen aufzurufen, bevor Shirley Castle einspringen konnte. Wie auch immer, Richter Simmonds hatte sich geduldig ihren Einspruch angehört und dann die Geschworenen wegen einer weiteren Vorvernehmung entlassen.
Es folgte ein juristisches Gefeilsche, dem Owen, so gebildet er auch war, nur halb folgen konnte, da es in einer furchtbar schwülstigen Juristensprache abgehalten wurde und zahllose Präzedenzfälle zitiert wurden. Er verstand jedoch, dass beide
Weitere Kostenlose Bücher