Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
genau. Aber ... hier ist alles voller Polizisten.«
»Wir könnten rausfahren.«
Rebecca schaute sich um. Sie konnte nicht hier bleiben, nicht in diesem Durcheinander, nicht nach dem Drohbrief. Sie würde verrückt werden. Und die Polizei konnte sie auch nicht länger ertragen. Anderseits ließ der bloße Gedanke an Patrick sie erbeben. Gott, wie sie sich hasste, wie sie es hasste, dass ihr Körper so leicht ihre moralischen und guten Vorsätze hintertreiben konnte, dass ihr gestörtes Gewissen immer wieder Wege fand, sich alles schönzureden!
»Gut«, sagte sie. »Aber du darfst nicht hierher kommen. Wegen der Polizisten. Wir dürfen nicht miteinander gesehen werden.«
»Ich hole dich ab ...«
»Nein. Wir treffen uns im Hotel.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Um Viertel nach zehn geht ein Bus.«
»In Ordnung. Ich warte auf dich.«
* III
»Das sind die Wohnheime für die Internatsschülerinnen«, erklärte Dr. Green und deutete nach vorn, als sie über das Schulgelände gingen. Die beiden großen Gebäude vor ihnen waren wesentlich jüngeren Datums als das Hauptgebäude der Schule; von dem Fundament aus Natursteinen abgesehen, waren sie aus rotem Ziegelstein errichtet und hatten eher funktionalen Charakter als ästhetischen Reiz. »Wie ich bereits sagte, haben wir 286 Internatsschülerinnen. Sie haben Duschen, Zentralheizung und alle Annehmlichkeiten, die moderne Kinder heute benötigen. Sie werden außerdem bemerkt haben, dass wir entlang der Hauptwege eine Reihe Laternen installiert haben. Sie sind jeden Abend bis um zehn Uhr eingeschaltet; um diese Zeit müssen die Mädchen im Bett sein. Die Eltern lassen es sich eine Menge Geld kosten, ihre Kinder hierher zu schicken.«
»Gibt es die Möglichkeit, fernzusehen?«
Sie lächelte. »Ja, das auch.«
»Was ist das für ein Gebäude da drüben?« Banks zeigte durch die Bäume auf ein dreistöckiges, rechteckiges Gebäude, ein Plattenbau in der Farbe von Haferbrei.
»Das ist leider das Wohnhaus der Lehrer«, erwiderte Dr. Green. »Hässlich, nicht wahr? Aber innen ist es eigentlich ganz hübsch. Die Wohnungen sind ziemlich geräumig: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Nachtstromspeicher - Luxus.«
»Wer wohnt dort - außer Ihnen?«
»Zurzeit sind sechs Wohnungen belegt. Das variiert. Unser Lehrkörper besteht aus dreißig Mitgliedern - ein sehr gutes Verhältnis - und einige unserer Lehrer wohnen in oder nahe der Stadt. Die Wohnungen sind vor allem für unverheiratete Mitglieder des Kollegiums gedacht, die erst kürzlich in die Gegend gezogen sind, oder, wie in meinem Fall, für unverheiratete Lehrer, die engen Kontakt zur Schule halten möchten.« Sie neigte ihren Regenschirm und sah Banks unter dem Rand herausfordernd an. »Sie haben mir vorhin die recht indiskrete Frage gestellt, ob ich allein lebe. Die Schule ist mein Leben, Chief Inspector. Ich habe weder die Absicht noch die Zeit für irgendjemand anderen oder irgendetwas anderes.«
Banks nickte. Dann musste er niesen. Susan wünschte ihm Gesundheit.
»Da sind wir«, fuhr Dr. Green fort, trat unter das Vordach des Wohnheims und senkte ihren Regenschirm. Sie schüttelte ihn vorsichtig, bevor sie ihn zusammenklappte. »Die Krankenstation befindet sich im Erdgeschoss. Eine Krankenschwester gehört fest zu unserem Personal, ein Arzt im Ort steht uns nach Bedarf zur Verfügung.«
Sie gingen den Flur hinab und betraten die Krankenstation. Es roch nach Desinfektionsmittel. Nach einem kurzen Gespräch mit der Krankenschwester führte Dr. Green Banks und Susan zu einer Reihe Kabinen; in einer davon lag Megan Preece in einem schmalen Bett.
»Megan geht es gut, sagt die Krankenschwester«, flüsterte Dr. Green. »Aber sie hat einen furchtbaren Schock erlitten und ein leichtes Sedativ bekommen; gehen Sie deshalb bitte behutsam mit ihr um.«
Banks nickte. Obwohl in der Kabine kaum genug Platz für alle drei war, schien Dr. Green dableiben zu wollen.
»Danke«, sagte Banks und schob Susan auf den Stuhl neben Megans Bett. »Wir finden selbst hinaus, wenn wir fertig sind.«
Dr. Green blieb einen Moment stirnrunzelnd stehen, dann nickte sie, machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich mit hörbaren Schritten auf dem Flur.
Während Banks nach einem Stuhl für sich suchte, sprach Susan bereits beruhigend auf Megan ein. Gemessen an dem Wenigen, das Banks von dem Kopf sehen konnte, der unter der grauen Decke hervorguckte, war Megan ein
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