Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
einer Hand durch sein Haar. »Wahrscheinlich hast du Recht. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen: Ich hatte ein privates Treffen mit einem Kunden. Mit einem Mann von der Regierung namens Oliver Jackson. Das war eine sehr vertrauliche Angelegenheit, und ich möchte nicht, dass irgendjemand anderes von diesem Treffen erfährt. Solche Dinge können Auswirkungen auf Aktienpreise und eine ganze Reihe von Marktfaktoren haben. Ganz zu schweigen von internationalen Beziehungen. Verstehen Sie das?«
Banks nickte. »Da ist nur noch eine Sache ...«
Sir Geoffrey seufzte. »Bitte, wenn es sein muss.«
»Ich habe mich gefragt, ob Deborah wohl einen Freund hatte.«
»Einen Freund?«
»Ja. Für ein Mädchen von sechzehn Jahren ist es doch nur natürlich, Interesse am anderen Geschlecht zu haben. Ganz harmlose Dinge, wie zum Beispiel mit einem Jungen ins Kino zu gehen. In ihrer Blazertasche steckte ein Kartenabriss vom Regal.«
Sir Geoffrey schüttelte den Kopf. »Sie ist oft mit ihrer Mutter ins Kino gegangen. Die beiden ... Deborah hatte keinen Freund, Chief Inspector. Sie sind völlig auf dem Holzweg. Für Jungen hatte sie keine Zeit.«
»Hatte sie denn nie einen Freund?«
»Nur Pierre, wenn das überhaupt zählt.«
»Pierre?«
»In Bordeaux, genauer gesagt in Montclair. Die Familie meiner Frau besitzt ein Landhaus in der Nähe von Bordeaux. Dort verbringen wir oft unseren Urlaub. Pierre ist der Sohn der Nachbarn. Das war natürlich alles ganz harmlos.«
»Natürlich«, sagte Banks. »Und weit weg.«
»Ja ... nun. Hören Sie, was diesen Jelacic angeht, das ist eine beunruhigende Neuigkeit. Werden Sie ihn verhaften?«
»Wir ermitteln in vielen Richtungen«, erwiderte Banks, während er und Susan zur Tür gingen, und ärgerte sich über sich selbst, weil er klang, als würde er mit der Presse reden.
Draußen schlüpften sie durch die Reporter vor dem Tor und gingen im Regen zu Banks' Wagen.
»Interessant, oder?« meinte Banks, nachdem sie eingestiegen waren. »Die Sache mit dem Freund.«
»Ja, Sir. Entweder wusste er wirklich nichts oder er hat gelogen.«
»Aber warum sollte er lügen?«
»Vielleicht hat es Deborah wirklich vor ihm geheim gehalten? Wenn er ein strenger Vater ist, könnte ich es verstehen.«
»Möglich. Und sein Alibi?«
»Klingt plausibel«, sagte Susan. »Mir ist aufgefallen, dass Sie seine Frau nicht nach ihrem Alibi gefragt haben.«
»Alles zu seiner Zeit, Susan, alles zu seiner Zeit. Außerdem glaube ich kaum, dass Sylvie Harrison ihre eigene Tochter ermordet hat. Sie ist auch gar nicht groß oder kräftig genug.«
»Wenn sie ein Fitnesscenter besucht, ist sie wahrscheinlich kräftig genug«, gab Susan zu bedenken. »Vielleicht stand sie auf einem Stein?«
Banks nieste in ein Taschentuch.
»Gesundheit, Sir!«, sagte Susan.
Sie fuhren in Richtung North Market Street. »Wissen Sie was«, sagte Banks, »ich glaube, es steckt noch viel mehr hinter Deborahs Leben, als die Leute wissen oder sagen. Ich möchte mich noch einmal mit ihrer Mutter unterhalten, wenn möglich allein. Michael Clayton hatte Recht, Teenager haben nicht viel Zeit für Erwachsene, aber Töchter vertrauen sich manchmal ihren Müttern an. Und ich möchte diesen John finden, wenn es ihn gibt.«
»Ich bin mir sicher, dass es ihn gibt, Sir. Deborah war ein attraktives Mädchen. Es würde mich wirklich sehr überraschen, wenn sie überhaupt nichts mit Jungen zu tun gehabt hat.«
Banks' Autotelefon piepte. Er nahm ab.
»Hier ist Inspector Stott.«
»Was gibt's, Barry?«
»Ich denke, wir sollten uns auf dem Revier treffen. Wir haben die Beschreibung eines möglichen Verdächtigen im Mordfall Deborah Harrison und es könnte sich um Jelacic handeln. Außerdem hat Vic Manson angerufen. Die Wodkaflaschen sind voll mit Jelacics Fingerabdrücken.«
»Wir sind auf dem Weg.« Banks schaltete das Telefon aus und trat aufs Gaspedal.
* IV
Während des gesamten Heimweges in dem schaukelnden Bus kaute Rebecca an den Fingernägeln. Nicht ein einziges Mal schaute sie durch die vom Regen verschmierten Scheiben hinaus auf die vorbeiziehende Herbstlandschaft, auf die gedämpft goldenen, rostfarbenen und zitronengelben Blätter, die, zerbrechlich und spröde wie der Hof des Mondes, noch an den Bäumen am Wegesrand hingen, auf das sanfte Grün und Braun der Felder oder die kreuz und quer verlaufenden
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