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Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer

Titel: Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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nicht schwer, die dunkle Skelettform mit der Wirbelsäule und den Rippen zu erkennen, doch irgendwie wirkten die Ruinen mit der leicht gekrümmten High Street und dem ausgetrockneten Flussbett eher wie verfallene Zahnstummel in einem feixenden Gesicht.
      Annie rutschte die Böschung hinunter und näherte sich der Feenbrücke. Von dort sah sie den Fluss entlang, und das blutrote Mondlicht spiegelte sich in den wenigen Pfützen, die noch im schlammigen Flussbett standen. Sie ging an den Überresten von Bridge Cottage und dem Schuppen vorbei, in dem Glorias Skelett gefunden worden war. Die gesamte Umgebung war umgegraben und aus Sicherheitsgründen abgesperrt worden. Die Spurensicherung vom Präsidium in Eastvale hatte ihr eigenes Absperrband mitgebracht. Sie ging die ehemalige High Street hinunter.
      Dabei versuchte sich Annie die Szene von Michael Stan-hopes Gemälde vorzustellen: Lachende Kinder planschten im seichten Fluss, eine Gruppe Frauen tratschte vor einem Laden, der Schlachterjunge fuhr blitzschnell mit seiner blutverschmierten Schürze, die große junge Frau rückte die Zeitungen im Ständer zurecht. Gwynneth Shackleton. Das war sie also. Warum war ihr das nicht früher aufgefallen? Irgendwie versetzte sie die Erkenntnis, dass Stanhope auch Gwen Shackleton in seinem Bild verewigt hatte, in Erregung.
      Sie blickte auf die Ruinen rechts von sich hinunter und sah, wo einmal ein alleinstehendes Cottage mit einem kleinen Garten gewesen war, wo einst eine Häuserreihe direkt an den Bürgersteig gegrenzt hatte. Hier führte ein Durchgang zum Hof des Gerbers; hier war der Zeitschriftenladen der Shackletons, da der Schlachter, und ein bisschen weiter unten an der Straße stand das Shoulder of Mutton, dessen Schild im Winde ächzte und schwang.
      Während sie auf die Flachsmühle zumarschierte, kam ihr das alles so wirklich vor, dass sie sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, schon lange leise Stimmen zu hören, die flüsternd Geheimnisse austauschten. Sie überquerte die Straße, die zur alten Kirche führte und befand sich dann am westlichen Rand des Dorfes, wo die Häuser aufhörten und die Landschaft zur Mühle hin anstieg.
      Sie blieb stehen, sog die Luft tief ein und merkte, dass sie unbedingt wissen wollte, was hier passiert war, und zwar genauso sehr wie Banks. Ohne dass sie es gewollt oder gewünscht hätte, hatten Hobb's End und seine Vergangenheit sie eingenommen, hatten sich in ihr Bewusstsein gedrängt und waren Teil ihres Lebens geworden. Das war in der gleichen Zeit geschehen, in der auch Banks zu einem Teil ihres Lebens geworden war. Sie wusste, dass diese beiden Ereignisse für immer in ihrem Kopf miteinander verbunden sein würden, wie auch immer es weiterging.
      Als sie ihn letztens auf sein Verhältnis zu dem Fall angesprochen hatte, hatte sie nicht einmal den Versuch gemacht, ihres zu erklären. Es lag nicht am Krieg, sondern weil sie sich mit Gloria identifizierte. Diese Frau hatte gekämpft und es gewagt, zu einer Zeit ein bisschen anders zu sein, als so ein Verhalten nicht gebilligt wurde. Sie hatte ihre Eltern verloren, hatte dann den Vater ihres Kindes entweder verlassen oder war von ihm verstoßen worden, sie war an diesen abgelegenen Ort gekommen, hatte eine schwere Arbeit angenommen und sich verliebt. Dann hatte sie ihren Mann im Krieg verloren, musste jedenfalls davon ausgehen. Falls Gloria noch gelebt haben sollte, als Matthew zurückkam, musste sie einem Fremden gegenübergestanden haben. Was auch immer dann passierte - jemand erdrosselte sie, stach fast zwanzig Mal auf sie ein und vergrub sie unter einem Schuppen. Und niemand versuchte herauszufinden, was ihr zugestoßen war.
      Plötzlich nahm Annie eine Bewegung wahr und sah jemanden über die Feenbrücke in Richtung Parkplatz huschen. Ihr wurde eiskalt. In dem Moment wurde sie wieder ein kleines Mädchen, das Angst im Dunkeln hatte und bereit war zu glauben, dass Hexen, Dämonen und Kobolde in Hobb's End ihr Unwesen trieben. Sie stand am anderen Ende des Dorfes, daher konnte sie nicht mehr erkennen als einen flüchtenden Umriss.
      Sie fand ihre Stimme wieder und rief laut. Keine Antwort. Die Person lief den Abhang hinauf und verschwand im Wald. Annie nahm die Verfolgung auf. Mit jedem Schritt gewann die Polizistin in ihr wieder Oberhand über das verängstigte, abergläubische Mädchen.
      Als sie die Böschung hinaufgekraxelt war und auf den Wald zulief, hörte sie die Zündung eines Autos hinter sich.

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