Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
ist, Matthews Andenken zu bewahren. Er kann jetzt nicht mehr gehenkt oder in die Psychiatrie eingewiesen werden.«
»Trotzdem hat sie ein Verbrechen begangen.«
»Ja, aber sie ist nicht der Mörder.«
»Es sei denn, ihre Geschichte ist nicht wahr.«
»Das glaube ich nicht. Was sie getan hat, geschah, um ihren Bruder zu schützen, der im Krieg bereits unsäglich gelitten hatte. Und sie bewahrte das Geheimnis, um die Familienehre hochzuhalten. Wenn sie damals die Polizei gerufen hätte, wäre es so gut wie sicher gewesen, dass er wegen des Mordes an Gloria verurteilt worden wäre. Es sei denn ...«
»Was?«
»Es sei denn, er war es nicht. In Gwens Version gibt es einige Sachen, die mich stören. Stell dir die Szene vor: Gwen betritt das Cottage und sieht Matthew mit einem Küchenmesser in der Hand über Glorias Körper gebeugt. So weit, so gut.«
Annie nickte.
»Außerdem bemerkt sie, dass Glorias Faust geballt ist und der kleine Finger gebrochen zu sein scheint. Richtig?«
»Ja.«
»Und Glorias Körper ist noch warm.«
»Ja.«
»Das bedeutet, dass die geballte Faust nicht von der Leichenstarre herrührte, sondern von einem Todeskrampf. Was wäre, wenn der Mörder, der wirkliche Mörder, versuchte, Gloria etwas aus der Hand zu entwinden, und dabei von Matthew überrascht wurde, der frühzeitig nach Hause kam, weil er aus dem Pub geworfen worden war, wo er Ärger gemacht hatte? Wenn sie etwas in der Hand hielt, das ihn belastete?«
»Einen Knopf?«
»Wäre doch logisch, oder?«
»Das ist durchaus möglich.«
Banks schüttelte den Kopf. »Aber wahrscheinlich hätten sie Matthew trotzdem festgenommen, je nachdem, welcher Beamter verantwortlich gewesen wäre. Man darf nicht vergessen, dass sich die meisten klugen jungen Beamten im Krieg befanden. Auf den verrückten Ehemann wäre der erste Verdacht gefallen und den Knopf, wäre er denn gefunden worden, hätte man schon irgendwie erklärt. Aus Vivians Sicht hätte Matthew den letzten Funken Verstand, den er vielleicht noch besaß, als das Unglück geschah, am Ende auf jeden Fall verloren. Deshalb beging sie ein Verbrechen. Und zwar ein schweres. Aber nicht nur die Staatsanwaltschaft würde die Version verwerfen; wenn der Fall irgendwann mal vor eine Jury käme, würde die auch nicht darauf anspringen. Denk mal an die Sympathielenkung. Jeder vernünftige Anwalt - und du kannst darauf wetten, dass sich Vivian Elmsley einen mehr als vernünftigen Anwalt leisten kann - würde dafür sorgen, dass der gesamte Gerichtssaal in Tränen ausbricht.«
»Was machen wir jetzt also?«
»Wir könnten Jimmy Riddle den Abschlussbericht geben und weitermachen wie bisher.«
»Oder?«
»Oder wir nehmen die ein oder zwei Ungereimtheiten unter die Lupe, von denen ich eben sprach. Zum Beispiel glaube ich nicht, dass ...«
Es klingelte.
Banks ging zur Tür. Neugierig ließ Annie das Manuskript auf ihren Schoß sinken. »Vielleicht ist es dein eifriger Sergeant Hatchley?«
»Am Sonntagmorgen? Da würde er es doch ein bisschen übertreiben.«
Banks öffnete die Tür. Annie hörte eine Frauenstimme, dann trat Banks langsam zur Seite und sie kam herein. Blondes Haar, schwarze Augenbrauen, eine gute Figur, nett angezogen mit hellem Rock und weißer Bluse.
Sie bemerkte Annie aus den Augenwinkeln und drehte sich zu ihr um. Einen Moment lang war sie sprachlos, und eine leichte Röte stieg ihr ins blasse Gesicht, dann trat sie vor und sagte: »Hallo, ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«
Annie kam sich dumm vor, nahm das Manuskript vom Schoß und stand auf. »Annie Cabbot«, sagte sie. »Sergeant Cabbot.« Sie war sich ihrer nackten Füße und Beine nur allzu bewusst.
»Sandra Banks«, sagte die Frau. »Freut mich.«
Banks schloss die Tür und stand mit betretener Miene hinter ihnen. »Sergeant Cabbot und ich besprechen gerade den Fall mit den alten Knochen aus dem Stausee«, sagte er. »Vielleicht hast du davon gelesen.«
Sandra sah auf Annies nackte Füße hinunter und warf Banks einen vernichtenden Blick zu. »Ja, klar«, sagte sie. »Am Sonntagmorgen. Wie überaus pflichtbewusst.« Sie näherte sich wieder der Tür.
Annie merkte, dass sie bis unter die Haarwurzeln errötete.
»Egal«, säuselte Banks weiter, »wirklich schön, dass du vorbeigekommen bist. Möchtest du einen Kaffee oder so?«
Sandra schüttelte den Kopf. »Nein, glaub nicht.
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