Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
bewegte, hatte sie ein wenig Schlagseite, und als Banks genauer hinsah, bemerkte er ein paar winzige weiße Pulverspuren in der weichen Vertiefung zwischen ihrer Nase und der Oberlippe. Noch während er hinsah, kam ihre spitze rosa Zunge aus dem Mund und leckte sie auf. Sie lächelte ihn an. Ihr Blick war etwas verschleiert und die Pupillen erweitert, kleine Lichtpunkte tanzten darin wie Feldspat, der die Sonne auffängt.
»Ich glaube nicht, dass ich schon das Vergnügen hatte«, sagte sie und streckte ihm ihre Hand hin. Banks stand auf und streckte ebenfalls die Hand aus. Ihre kühlen, weichen Finger lagen eine Sekunde lang locker in seinen, dann zog sie sie zurück. Er stellte sich vor. Emily setzte sich in einen Lehnstuhl am Feuer, schlug die Beine unter und spielte mit einem losen Faden an ihrem Pulloverärmel.
»Sie sind also Banks«, sagte sie. »Ich habe von Ihnen gehört. Detective Chief Inspector Banks. Stimmt's?«
»Ja. Nur Gutes, hoffe ich?«
Sie lächelte. »Zumindest Interessantes.« Dann wurde ihr Gesichtsausdruck gelangweilt. »Was will Daddy nach all der Zeit von mir? O Himmel, was ist das für eine verdammt stumpfsinnige Musik? Manchmal legt Barry absolut deprimierendes Zeug auf.«
»Joy Division«, sagte Banks. »Er hat Selbstmord begangen. Der Leadsinger.«
»Das wundert mich nicht. Ich würde auch Selbstmord begehen, wenn ich mich so anhörte.« Sie stand auf, stellte die CD ab und ersetzte sie durch Alanis Morisettes Jagged Little Pill. Alanis sang davon, was sie wirklich wollte. Sie klang nicht viel fröhlicher als Joy Division, dachte Banks, aber die Musik war beschwingter, moderner. »Im Grunde seines Herzens ist Barry immer noch ein alter Punker. Wussten Sie, dass er früher Roadie bei einer Punkband war?«
»Was macht er jetzt?«, fragte Banks beiläufig.
»Er ist Geschäftsmann. Ein bisschen dies, ein bisschen jenes. Sie wissen schon.« Sie lachte. Es klang wie ein zerspringendes Kristallglas. »Wenn ich es recht bedenke, weiß ich eigentlich nicht genau, was er macht. Barry ist dauernd unterwegs. Er redet nicht viel davon.« Sie legte den Finger an die Lippen. »Alles furchtbar geheim.«
Das wette ich, dachte Banks. Er versuchte, ihren Akzent einzuordnen, aber es gelang ihm nicht. Riddle war wahrscheinlich in mehr Grafschaften stationiert gewesen, als er warme Mahlzeiten genossen hatte, um mit Mitte vierzig Polizeipräsident zu werden. Und so hatte sich Emily einen eher charakterlosen Akzent zugelegt, nicht direkt hochgestochen, aber doch auch ohne die rauen Kanten, die regionale Dialekte verleihen. Banks wusste, dass auch sein Akzent schwer einzuordnen war, da er in Peterborough aufgewachsen war, über zwanzig Jahre lang in London gelebt hatte und nun schon seit etwa sieben Jahren in Nord-Yorkshire war.
Während Emily sprach, wanderte sie im Zimmer herum, berührte Gegenstände, nahm von Zeit zu Zeit einen in die Hand, wie einen gläsernen Briefbeschwerer mit Rosenmuster, und stellte ihn wieder hin oder verschob ihn. Schließlich blieb sie am Kamin stehen, lehnte den Ellbogen auf den Sims, die Faust an der Wange, eine Hüfte vorgestreckt. »Haben Sie schon gesagt, warum Sie gekommen sind?«, fragte sie. »Ich erinnere mich nicht.«
»Sie haben mir noch keine Möglichkeit dazu gegeben.«
Emily legte die Hand vor den Mund und unterdrückte ein Kichern. »Oooh, das tut mir Leid. Typisch für mich. Nur reden, reden, reden.«
Banks sah einen Aschenbecher mit ein paar ausgedrückten Kippen auf dem Tisch stehen. Er griff nach seinen Zigaretten, hielt sie Emily hin, die eine nahm, zündete sich selbst eine an und sagte: »Ich habe vor zwei Tagen mit Ihrem Vater gesprochen, Emily. Er macht sich Sorgen um Sie. Er möchte, dass Sie sich mit ihm in Verbindung setzen.«
»Ich heiße Louisa. Und ich gehe nicht nach Hause.«
»Das hat niemand verlangt. Aber es würde Ihnen nicht schaden, wenn Sie sich mit ihm in Verbindung setzen und ihn wissen lassen, was Sie machen und wo Sie sind, oder?«
»Er würde bloß wütend werden.« Sie verzog den Mund, schob sich vom Kamin weg. »Wie haben Sie mich gefunden? Ich habe niemandem erzählt, wo ich herkomme. Ich hab nicht mal meinen wirklichen Namen benutzt.«
»Ich weiß«, sagte Banks. »Aber, ehrlich: Louisa Gamine. Sie sind ein cleveres Mädchen, haben eine teure Schulbildung genossen. Es hat etwas gedauert, aber am Ende hatte ich es. Gamine bedeutet ein Mädchen mit
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