Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
zurückkommt.«
»Wann war das ?«
»Weiß ich nicht. Ich schätze mal, so gegen halb elf, Viertel vor elf.«
Das passte zu Annies zeitlicher Berechnung. Man brauchte rund vier Stunden von Kennington nach Eastvale, je nach Verkehr, und Jennifer Clewes war zwischen ein und vier Uhr morgens ungefähr drei Meilen vor ihrem Ziel getötet worden. »Hat sie angedeutet, wo sie hinfahren wollte?«
»Nein, nichts. Nur, dass sie fahren müsste. Sofort. Aber das war typisch für sie.«
»Ja?«
»Ich meine nur, dass sie nicht besonders mitteilsam war, was ihr Privatleben betraf. Was sie machte, wo sie hinging und so. Selbst wenn ich Bescheid wissen musste, wegen des Essens. Sie konnte sehr egoistisch sein.« Kate legte die Hand auf den Mund. »Wie kann ich nur so reden!« Sie begann zu weinen.
»Schon gut«, sagte Annie und versuchte, sie zu trösten. »Bleiben Sie ruhig! Machte Jennifer einen verstörten oder besorgten Eindruck?«
»Nein, verstört kann man nicht sagen. Aber sie war blass, als stände sie unter Schock oder so.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, von wem der Anruf kam?«
»Nein, tut mir leid.«
»Was haben Sie gemacht, als Jennifer fort war?«
»Ich habe den Film zu Ende gesehen und bin ins Bett gegangen. Was ist denn überhaupt passiert? Hatte sie einen Autounfall? Ja? Das kann aber nicht ihre Schuld gewesen sein. Sie fuhr immer sehr rücksichtsvoll und hat nie zu viel getrunken.«
»Nichts dergleichen«, gestand Annie.
»Was denn? Sagen Sie doch!«
Früher oder später würde sie es sowieso erfahren, dachte Annie. Sie stand auf, nahm zwei Gläser aus der Küchenvitrine und ließ Leitungswasser hineinlaufen. Eins gab sie Kate, dann setzte sie sich wieder. Sie konnte Kates flehenden Gesichtsausdruck kaum ertragen - diese großen angstvollen Augen und die gerunzelte Stirn, das in ihrer Hand zitternde Glas. Wenn Kate gehört hatte, was Annie ihr sagen würde, wäre ihr Leben nie mehr wie zuvor, es wäre für alle Zeit mit dem Wissen um diesen Mord belastet.
»Jennifer wurde erschossen«, sagte Annie mit weicher, leiser Stimme. »Das tut mir wirklich leid.«
»Erschossen?«, wiederholte Kate. »Nein ... sie ... das verstehe ich nicht.«
»Wir auch nicht, Kate. Das versuchen wir ja gerade herauszufinden. Kennen Sie vielleicht irgendjemanden, der ihr etwas antun wollte?«
»Jenn? Natürlich nicht.« Kate stieß die Worte hervor, als bekäme sie kaum noch Luft.
Sie wollte das Glas abstellen, traf aber nur die Tischkante. Das Glas fiel zu Boden. Kate stand auf und legte die Hand auf den Mund. Ohne Vorwarnung verdrehte sie die Augen, und noch ehe Annie aufspringen konnte, sackte sie ohnmächtig zusammen.
»Hören Sie«, sagte Corinne, »ist das wirklich nötig? Das sind immerhin Roys private Geschäftsunterlagen.«
»Jetzt ist es ein bisschen spät für Gewissensbisse«, entgegnete Banks. »Außerdem«, sagte er mit Fingerzeig auf die CD, »ist vielleicht noch mehr von der Sorte drauf.«
Corinne warf ihm einen bösen Blick zu und drehte sich wieder zum Bildschirm um. »Zumindest ist der Stick nicht passwortgeschützt.«
»Was in Anbetracht von Roys Sicherheitsbedürfnis wahrscheinlich bedeutet, dass nichts Vertrauliches drauf ist.« Beziehungsweise nichts Belastendes, fügte Banks in Gedanken hinzu.
»Warum soll ich dann nachsehen?«
»Weil vielleicht etwas drauf ist, das ich finden und lesen soll. Er weiß ja, dass ich keine Passwörter knacken kann und solche Sachen. Außerdem brauche ich alles, was ich bekommen kann. Geschäftspartner, Aktivitäten, Gewohnheiten, einfach alles.«
»Hier ist alles Mögliche drauf«, sagte Corinne und scrollte nach unten. »Word-Dateien, Dateien mit Zahlen, Excel-Tabellen, PowerPoint-Präsentationen, Marktforschungsberichte, Memos, Briefe.«
»Könnten Sie die Dateien ausdrucken?«
»Einige.« Corinne wählte Dateien aus, der Drucker summte los. Banks merkte, dass er schnell lief.
»Könnten Sie den Inhalt auch noch auf so ein Dingsda kopieren?«
»Sie meinen, auf einen anderen USB-Stick?«
»Auf irgendwas. Geht das?«
»Sicher. Das heißt, wenn ich noch einen übrighabe. Geht auch eine CD?«
»Klar«, antwortete Banks. »Hauptsache, wir haben eine Kopie. Die CD bitte auch.«
»Was haben Sie damit vor?«
»Ich schicke alles an mich selbst«, erklärte Banks. »Auf diese Weise sind alle Daten
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