Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
vertrieb nicht gerade Banks' Ängste um seinen Bruder. Wenn jemand wusste, dass er in Roys Haus wohnte und Roys Handy benutzte, dann hielt er besser die Augen auf und alle fünf Sinne beisammen.
Banks legte das Mobiltelefon zur Seite und ging wieder ins Bad. Er entledigte sich seiner zerknitterten Kleidung, stieg in Roys edlen Power Shower und drehte ihn voll auf. Er ließ den heißen Wasserstrahl auf seinen Körper prasseln, bis er sich wieder einigermaßen menschlich fühlte.
Als er sich mit einem dicken weichen Handtuch abtrocknete, fiel ihm ein, dass seine Reisetasche noch im Kofferraum seines Wagens war. Er wollte sie jetzt nicht holen, putzte sich deshalb die Zähne mit Roys elektrischer Zahnbürste. Sie riss ihm beinahe das Zahnfleisch auf. Dann nahm er ein sauberes kurzärmeliges Hemd und Socken aus dem Kleiderschrank seines Bruders. Roys Jeans konnte er nicht tragen, sie waren zu lang und zu weit um den Bauch.
Er fand Kaffee in einem Küchenschrank und kochte sich eine anständige Kanne, die er zusammen mit dem Handy nach oben ins Fernsehzimmer trug. Die Polizei mit ihren technischen Möglichkeiten müsste den Anruf und das digitale Foto zurückverfolgen können. Außerdem konnte man durch die SIM-Karte eines Mobiltelefons sehr viel erfahren. Leider verfügte Banks momentan nicht über diese technischen Möglichkeiten. Er fragte sich, wie wichtig das sein könnte.
Banks konnte die Vorstellung noch immer nicht ablegen, dass sein Bruder die Finger in illegalen Geschäften hatte und deshalb untergetaucht war. Vielleicht hatten die Konsequenzen ihn einzuholen gedroht, so dass er schleunigst verschwinden und sich verstecken musste. Wenn das der Fall war und Banks die zuständige Polizei benachrichtigte, bestand die Gefahr, dass Roy ernsthaften Ärger bekäme. Stießen die Kollegen auf etwas Verdächtiges - zum Beispiel Drogen oder Pornografie -, würde Roy ins Gefängnis wandern, und das würden seine Eltern nicht verkraften.
Andererseits konnte er auf eigene Faust nicht viel machen, höchstens die Anhaltspunkte verfolgen, die er bereits hatte: die Namen von Roys Anrufliste und aus dem Telefonbuch sowie von den Dateien prüfen, die Corinne ihm ausgedruckt hatte. Banks wusste, was er eigentlich tun musste, was er jedem anderen in seiner Lage geraten hätte, und dennoch zögerte er. Immerhin hatte er jetzt den Laptop, er konnte sich also noch etwas länger mit der CD und dem USB-Stick beschäftigen. Und es gab jemanden, den er um Hilfe bitten konnte.
Zuerst ging Banks in Roys Büro. Es gab eine neue Nachricht auf dem AB. Sie musste eingegangen sein, während er duschte. Wieder von Annie Cabbot. Sie bat Roy, sich so schnell wie möglich bei ihr zu melden. Banks hatte die Nachricht von gestern völlig vergessen. Er war noch immer unsicher, ob er Annie einbeziehen wollte - sie würde mit Sicherheit verlangen, dass Roys Verschwinden offiziell gemacht wurde - aber er war neugierig genug, ihre Mobilnummer zu wählen, um herauszufinden, worum es ging. Anrufer nicht erreichbar. Banks nahm sich vor, es später erneut zu versuchen, ging zum Telefon und rief Corinne an. Er wollte sich erkundigen, wie es ihr ging. Als sie ihn beruhigte, atmete er erleichtert auf. Corinne klang müde. Er entschuldigte sich, sie geweckt zu haben und versprach, sich später wieder zu melden.
Schließlich wählte er eine Nummer, die er auswendig kannte. Wie verlangt, hinterließ er eine Nachricht. Fünfzehn Minuten später klingelte das Telefon. Banks griff zum Hörer.
»Hier Banks.«
»Was ist denn so dringend, dass man einen hart arbeitenden Bullen an seinem einzigen freien Tag stören muss?«, fragte Detective Superintendent Richard Burgess, genannt »Dirty Dick«.
»Ich muss dich treffen«, sagte Banks. »So schnell wie möglich.«
Die Sache mit Detective Chief Inspector Alan Banks lag Superintendent Gristhorpe schwer im Magen, und das nicht nur, weil Gristhorpe etwas mehr Zeit für seine Trockenmauer gehabt hätte, wenn Banks da gewesen wäre. Stattdessen musste er nun früh am Sonntagmorgen ins Polizeipräsidium fahren. Zweifelsohne würde er sich mit einem Haufen Journalisten herumschlagen müssen. Mittlerweile war bekannt, dass die Tote erschossen worden war; und Waffen waren immer eine heikle Angelegenheit. Obwohl die nach dem Massaker von Dunblane erlassenen britischen Waffenkontrollgesetze zu den schärfsten der Welt gehörten, schien das Land mit billigen illegalen Waffen aus
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