Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
die Leute trotzdem beide Augen zu, sogar die Opfer selbst. Und damals gab es viel Verständnis für Drogenkonsum, schlechte Trips und so was. Was den Rest angeht: Wenn man sich danebenbenahm, insbesondere auf der Bühne, war das einfach nonkonformistische oder avantgardistische Theatralik. Angeblich ist Syd Barrett von Pink Floyd mal mit einem Klumpen Pomade auf dem Kopf auf die Bühne; das Zeug schmolz und ist ihm das Gesicht runtergelaufen. Man hielt das für eine künstlerische Aussage, nicht für ein Symptom von Wahnsinn. Vergiss nicht, dass damals viele seltsame Einflüsse im Spiel waren. Dadaismus, Surrealismus, Nihilismus. Wenn John Cage vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden Stille komponieren konnte, wer will dann behaupten, dass Greaves etwas anderes tat, wenn er nicht spielte? Du mit deiner unkonventionellen Herkunft müsstest das eigentlich wissen. Malte denn keiner in eurer Wohngemeinschaft eine Leinwand mal einfach schwarz?«
»Ich war doch noch ein Kind«, sagte Annie, »aber ich weiß, dass es bei uns mehr Freaks als Normale gab. Mein Vater versuchte allerdings immer, mich von denen fernzuhalten. Du würdest dich wundern, wie konservativ ich eigentlich erzogen wurde. Die Leute in der Kommune rissen sich ein Bein aus, um mir >normale< Werte zu vermitteln. So als wollten sie nicht, dass ich zu anders würde, so wie sie.«
»Wahrscheinlich wollten sie verhindern, dass du in der Schule zur Außenseiterin wurdest.«
»Ha! Das haben sie aber nicht geschafft. Die anderen Kinder hielten mich trotzdem für verrückt. Wie haben die Mad Hatters das alles überlebt?«
»Ihr Manager Chris Adams hielt alles zusammen. Er besorgte einen Ersatz, manipulierte ein wenig am Sound und Image der Band herum, und wumm - ging' s wieder los.«
»Was genau änderte er?«
»Statt eines neuen Keyboarders holte er eine Sängerin. Der Sound wurde etwas kommerzieller, poppiger, ohne dass er völlig seinen Sixties-Stil verlor. Sie warfen einfach das Psychedelische über Bord. So hast du die Band wahrscheinlich in Erinnerung, mit den netten Stücken. Nun ja, der Rest ist Geschichte. Sie eroberten Amerika, füllten große Stadien, komponierten Jugendhymnen und so weiter. Als 1973 ihr viertes Album herauskam, waren sie Megastars. Nicht alle neuen Fans kannten die Wurzeln der Band, aber es weiß ja auch nicht jeder, dass Fleetwood Mac mal tollen Blues machten, bevor Stevie Nicks kam und sie >Rhiannon< und den ganzen Scheiß sangen.«
»Hey, pass auf, was du sagst! Zufällig mag ich >Rhiannon<.«
Banks lächelte. »Sorry«, sagte er. »Hätte ich wissen müssen.«
»Angeber!«
»Nun, das jedenfalls ist die Geschichte der Mad Hatters. Und du sagst, dass die Freundin -«
»Melanie Wright.«
»- dass diese Melanie Wright behauptet, Nick wäre überzeugt gewesen, eine richtig pikante Geschichte aufgespürt zu haben, und dass sie das Gefühl hatte, sie sei ihm persönlich nahegegangen.«
»Ja. Und er sprach von Mord. Vergiss das nicht!«
»Nein. Welchen Mord meinte er wohl?«, fragte Banks.
»Nach dem, was du mir gerade erzählt hast, würde ich mal auf den an Robin Merchant tippen. Oder?«
* Dienstag, 16. September 1969
»Ich möchte mich bei Ihnen wegen der LP der Mad Hatters entschuldigen«, sagte Chadwick am Dienstagmorgen zu Sergeant Enderby bei einem späten Frühstück in der Kantine. Geoff Broome hatte ihm eine Hausnummer in Bayswater Terrace genannt, Enderby war von Brimleigh hergekommen, und jetzt stärkten sie sich mit Schinken und Eiern für den Besuch in dem Haus.
»Schon gut, Sir«, sagte Enderby. »Letzte Woche habe ich Pink Floyd gebeten, mir eine More-LP zu signieren. Ehrlich gesagt, sind die Mad Hatters und nicht mal Pink Floyd so ganz meine Sache. Eigentlich bin ich eher ein Blues-Mann.«
»Blues?«
»Howlin' Wolf, Muddy Waters, Chicken Shack, John Mayall.«
»Aha«, sagte Chadwick, kein bisschen klüger. »Es tut mir jedenfalls leid. Es war falsch von mir.«
»Sie hatten bestimmt recht, dass man sich nicht dabei erwischen lassen sollte, Geschenke anzunehmen.«
»Tja, mir würde es wohl besser gehen, wenn ich die Platte nicht meiner Tochter geschenkt hätte.«
»Was haben Sie getan, Sir?«
Chadwick wich Enderbys Blick aus. »Ich habe sie meiner Tochter geschenkt. Muss ihr ein bisschen entgegenkommen, verstehen Sie?«
Enderby fing an zu lachen. »Entschuldigung, Sir«, sagte er. »Was hat
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