Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Getränke wie Babycham, Cherry B oder Pony. Nach einer Weile wurde ihr schwindelig und übel.
Sie arbeitete sich zur Toilette durch und steckte sich den Finger in den Hals. Das half. Anschließend spülte sie sich den Mund aus, wusch sich das Gesicht und zündete sich eine Zigarette an. So schlimm sah sie gar nicht aus. Auf dem Weg zurück musste sie sich im engen Flur an McGarrity vorbeiquetschen. Sein belustigter Blick angesichts ihres Unbehagens flößte ihr Angst ein. Er blieb stehen, an Yvonnes Brust gepresst, fuhr ihr mit einem schmutzigen, angenagten Finger über die Wange und flüsterte ihren Namen. Kalt lief es Yvonne den Rücken hinunter.
Als sie zurück zu Steve und den anderen kam, war gerade Pause.
Yvonne hatte mit Steve noch nicht über Linda gesprochen, zum Teil weil sie Angst hatte, dass er mit ihr geschlafen hatte und sie deswegen eifersüchtig würde. Das wäre nicht gut. Eifersucht sei ein negatives Gefühl, sagte Steve immer, man müsse es ablegen, aber Yvonne konnte nicht anders. Linda war einfach vollkommen; neben ihr fühlte sich Yvonne wie ein naives, unbeholfenes Schulmädchen. Doch schließlich fasste sie sich ein Herz.
»Kanntest du Linda gut?«, fragte sie Steve so beiläufig wie möglich.
Bevor Steve antwortete, drehte er sich erst eine Zigarette aus der Dose mit Old-Holborn- Tabak. »Eigentlich nicht«, sagte er. »Sie war schon weg, als ich dazukam. Ich habe sie nur ein paar Mal gesehen, als sie von London zu Besuch kam und bei Dennis wohnte.«
»In BayswaterTerrace? Da hat sie gewohnt?«
»Ja, bevor sie nach London ging.«
»Mit Dennis?«
»Nein nicht mit ihm, nur als Kumpel, Mann.« Steve schaute Yvonne fragend an. »Was soll das überhaupt? Sie ist tot. Wir müssen loslassen.«
Yvonne wurde nervös. »Ich meine ja nur. Es ... ich meine ... ich habe sie nur einmal gesehen, und ich fand sie nett, mehr nicht.«
»Alle liebten Linda.«
»Scheinbar nicht alle.«
»Was soll das heißen?«
»Na, einer hat sie ja wohl umgebracht.«
»Das heißt nicht, dass er sie nicht liebte.«
»Das verstehe ich nicht.«
Steve streichelte ihr über den Arm. »Die Welt ist kompliziert, Von, und die Menschen haben die unterschiedlichsten Beweggründe, die wir oft gar nicht verstehen. Beweggründe, die sie nicht mal selbst begreifen. Ich will damit nur sagen, dass der Täter es nicht unbedingt aus Hass oder Eifersucht oder Neid oder aus einem anderen negativen Gefühl heraus getan hat. Er kann es auch aus Liebe getan haben. Oder aus Güte. Manchmal muss man das zerstören, was man am meisten liebt. Es ist nicht an uns, das zu hinterfragen.«
Yvonne hasste es, wenn Steve so von oben herab mit ihr sprach, als wäre sie ein dummes Schulmädchen, das nichts kapierte. Aber sie begriff es wirklich nicht. Ihrer Meinung nach war Linda ermordet worden. Das ganze Gerede über Mord aus Liebe oder Güte ergab für sie keinen Sinn. Vielleicht lag es daran, dass sie die Tochter eines Polizisten war. Wenn das der Fall war, musste sie besser damit aufhören, sich so zu benehmen, sonst kämen die anderen schnell dahinter.
»Du hast recht«, sagte sie. »Es ist nicht unsere Aufgabe, das zu hinterfragen.«
Die zweite Hälfte des Abends begann. Yvonne sah McGarrity in der Menge, im Kerzenlicht nicht mehr als eine dunkle Gestalt rechts der Bühne. Sie hatte das Gefühl, als beobachte er sie. Dann ging ein junger Mann mit langem blondem Haar auf die kleine Bühne und sang »Pollyon the Shore«.
In einer Sitzecke bei einem verrauchten, lauten Italiener auf der Frith Street teilten sich Banks und Annie eine Flasche Mineralwasser und eine Flasche vom roten Hauswein. Banks verdrückte Kalbfleisch mit Marsala, Annie eine Pasta Primavera. Draußen war es dunkel geworden; die Straßen, Pubs und Restaurants von Soho füllten sich mit Leuten, die von der Arbeit kamen oder zum Ausgehen ins West End gefahren waren. Auf den regennassen Bürgersteigen und Straßen spiegelten sich rote und violette Lichter.
»Du hast eine Menge zu erklären«, sagte Annie und schob sich das Haar hinter die Ohren, damit es ihr beim Essen nicht in den Mund fiel.
»Was denn?«, fragte Banks.
»Das mit den Mad Hatters. Ich habe kaum ein Wort von dem verstanden, was du mir vor dem Essen erzählt hast.«
»Ist doch nicht meine Schuld, wenn deine kulturelle Bildung so große Lücken hat«, gab Banks zurück.
»Schreib es meiner Unreife zu,
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