Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
hat. Vielleicht in einem Zelt oder draußen auf dem Feld oder so. Vielleicht war sie ja nicht allein. Vielleicht hatte sie ein Auto. Ich weiß es nicht, Mann. Ich weiß nur, dass mich das total fertigmacht.«
»Bleiben Sie ruhig, Mr. Nokes. Atmen Sie tief durch. Soll angeblich Wunder wirken.«
Nokes warf Chadwick einen bösen Blick zu. »Sie wollen mich verarschen.«
»Überhaupt nicht.«
»Das haut mich echt aus den Latschen.«
»Was? Dass Linda ermordet wurde oder dass Sie vernommen werden?«
Nokes tupfte mit dem Zeigefinger nach Salzkörnern auf dem Wachstuch. »Das alles, Mann. Das ist total heftig. Ihr macht mich echt fertig, und ihr liegt echt total daneben. Wir machen einen auf Liebe, wir bringen uns nicht um.«
So langsam zerrte seine weinerliche Stimme an Chadwicks Nerven. »Erzählen Sie mir mehr über Linda!«
»Was denn?«
»Wann lernten Sie sich kennen?«
»Vor ein paar Jahren. Kurz nachdem ich hier eingezogen war. So im Mai, Juni 1967.«
»Und Sie waren von London gekommen?«
»Ja. Da wohnte ich bis Frühjahr 67. Ich merkte, was da abging, und dachte, das könnten wir hier so ähnlich aufziehen. Das war total aufregend damals: super Musik, Dichterlesungen, Lightshows, Happenings. Revolution lag in der Luft, Mann.«
»Zurück zu Linda. Wie lernten Sie sie kennen?«
»In der Stadt, in einem Plattenladen. Wir guckten beide die Folkabteilung durch und kamen dabei ins Gespräch. Sie war so allein. Ich meine, sie war auf der Suche, ohne dass sie es wusste. Sie war auf dem Weg zu sich selbst, wusste aber nicht, wie sie es anstellen sollte. Wie eine Raupe, aus der ein Schmetterling wird. Wissen Sie, was ich meine?«
»Sie halfen ihr also, zu sich selbst zu finden?«
»Ich hab sie immer mal wieder hierher eingeladen. Gab ihr ein paar Bücher - Leary, Gurdjieff, Alan Watts. Spielte ihr Musik vor. Wir haben viel geredet.«
»Haben Sie auch mit ihr geschlafen?«
»Auf keinen Fall. Sie war im sechsten Monat schwanger.«
»Drogen?«
»Natürlich nicht.«
»Wie lange blieb sie hier?«
»Nicht sehr lange. Nachdem sie das Kind bekommen hatte, war sie noch mal länger hier, vielleicht ein, zwei Monate im Winter 67. Anfang 68 ging sie dann nach London. Danach schlief sie nur hier, wenn sie zu Besuch hochkam.«
»Was machte sie so?«
»Wie meinen Sie das?«
»Arbeit. Womit verdiente sie ihr Geld? Hatte sie eine Stelle?«
»Ach, der Scheiß. Also, als ich sie kennenlernte, da machte sie natürlich noch nichts. Sie wohnte bei ihren Eltern. Dann kam das Kind ... Also, sie machte echt schönen Schmuck, aber ich glaube nicht, dass sie damit viel Geld verdiente. Verschenkte sowieso das meiste. Und Klamotten. Sie konnte alles flicken und aus alten Lumpen ein Hemd nähen. Für Mode hatte sie auch ein Händchen, entwarf selbst was.«
»Wie verdiente sie denn nun ihr Geld?«
»Sie arbeitete in einer Boutique. Bei Biba. Ist ziemlich bekannt, die Kette. War gerade ein neuer Laden auf der Kensington High Street eröffnet worden. Die machen viel im Dreißiger-Jahre-Stil. Kennen Sie bestimmt: Schlapphüte, Straußenfedern und lange Satinkleider in Rosa und Lila.«
»Wissen Sie zufällig Lindas Adresse in London?« Nokes nannte ihm eine Anschrift in Notting Hill. »Wohnte sie da allein?«
»Ja. Aber sie hatte eine gute Freundin, die im selben Haus lebt, direkt gegenüber. Die war ein- oder zweimal mit ihr hier. Eine Amerikanerin. Tania Hutchison.«
»Wie sieht sie aus?«
»Unbeschreiblich. Ich meine, sie ist wie das Negativ von Linda, Mann, aber auf ihre Weise genauso schön. Sie hat dunkles langes Haar, richtig lang, ja? Und eine dunkle Hautfarbe, als wäre sie halb mexikanisch oder so. Und weiße Zähne. Aber alle Amerikaner haben weiße Zähne, oder?«
Es hörte sich nach dem Mädchen an, das Robin Merchant beschrieben hatte. Was also konnte diese Tania Hutchisan mit dem Mord an Linda Lofthouse zu tun haben?
Von Dennis Nokes war nicht mehr zu erfahren, daher gab Chadwick Enderby ein Zeichen, die Unterredung zu beenden. Man würde jemanden vorbeischicken, der sich später mit den anderen unterhielt. Chadwick glaubte nicht, dass Nokes und seine Kumpel irgendetwas mit dem Mord an Linda zu tun hatten, doch jetzt hatte er zumindest gesehen, wo sie gewohnt hatte, und diese Tania konnte ihm vielleicht etwas über Lindas Leben erzählen. Oder über ihren Tod.
Bevor Banks
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