Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Geschick und Glück sein eigenes Bild machen können.
* Mittwoch, 17. September 1969
Es war lange her, seit Chadwick zum letzten Mal in der Portobello Road gewesen war. Das war zu Kriegszeiten, auf einem Heimaturlaub zwischen zwei Einsätzen. Chadwick war überzeugt, dass die Straßen damals schmaler gewesen waren. Und es hatte Sandsäcke gegeben, Verdunkelungsvorhänge, leere Schaufenster, Schutt durch die Bombardierungen; es hatte nach Asche, geborstenen Gasleitungen und Abwasserrohren gerochen. Jetzt stammte der größte Dreck vom Bau des Westway, einer Hochautobahn, die fast fertiggestellt war. Und die meisten Gerüche waren exotische Gewürze, die Chadwick an seine Zeit in Indien und Burma erinnerten.
Er hatte den Nachmittagszug nach King's Cross genommen, eine Fahrt von ungefähr fünf Stunden. Jetzt war es früher Abend. Die Marktstände hatten für heute dichtgemacht; die Besitzer hatten ihre Ware zusammengepackt und waren in den zahlreichen Pubs um die Ecke verschwunden. Vor dem Duke of Wellington unterhielt ein Feuerschlucker einige Zuschauer. Es war eine lebendige Atmosphäre, die Leute waren jung und trugen farbenfrohe Kleidung, ausgestellte Jeans mit aufgestickten Blumen oder mit Goldfäden durchwirkte Kaftane. Manche Mädchen hatten altmodische Hüte mit breiten Krempen und lange Kleider an, die ihnen um die Knöchel schwangen. Auch einige Westinder mit Bärten und Zottelhaar waren auf den Straßen unterwegs, manche ebenfalls in bunten Gewändern. Chadwick war überzeugt, Marihuana in der Luft zu riechen. Außerdem war er sicher, dass er in seinem dunkelblauen Anzug ziemlich fehl am Platz wirkte, auch wenn hier und dort ein Geschäftsmann unter den Menschen war.
Seinem Stadtplan zufolge gab es schnellere Möglichkeiten, um zu Powis Terrace zu gelangen als von der U-Bahn-Station Notting Hill, aber aus Neugier hatte er über die Portobello Road gehen wollen. Er hatte so viel über diese Straße gehört: von den Rassenkrawallen in Notting Hill vor über zehn Jahren bis zu dem berüchtigten Vermieter Peter Rachman, der sowohl mit den Kray-Zwillingen zu tun hatte als auch 1963 in die Profumo-Affäre verwickelt war. Diese Gegend atmete Geschichte.
Jetzt fand man auf dieser Straße schicke Boutiquen, Frisöre und Antiquitätenhandlungen mit bunt bemalten Fassaden. Es gab sogar ein kleines Kino namens Electric Cinema, in dem gerade eine Doppelvorstellung von Easy Rider und Nackt unter Leder lief. Ein anderes Geschäft, Alice's Antiques, verkaufte edwardianische Polizeimützen. Kurz war Chadwick versucht, eine zu erstehen. Aber er wusste, dass er sie nicht tragen würde; sie würde nur hinten im Schrank hängen, bis die Motten sich über sie hermachten.
Chadwick ging Colville Terrace hinunter und fand schließlich die Straße, nach der er gesucht hatte. Am Ende des Häuserblocks hatte jemand Che Guevara an die Wand gemalt, und unter dem bärtigen Gesicht mit dem Barett standen in roten Buchstaben, die an Blutstropfen erinnerten, die Worte LANG LEBE DIE REVOLUTION. Die Reihenhäuser, einst majestätisch anmutende vierstöckige Bauten im georgianischen Stil, waren jetzt schmutzig weiß und hatten fleckige, mit Graffiti verunstaltete Fassaden; DER WEG DER MASSLOSIGKEIT FÜHRT ZUM PALAST DER WEISHEIT oder VERBRECHEN IST DIE HÖCHSTE FORM VON SINNLICHKEIT war da zu lesen. Müll lag auf den Straßen. Vor jedem Haus gab es einen niedrigen schwarzen Eisenzaun und ein Tor, hinter dem dunkle Steinstufen zur Souterrainwohnung führten. Die breite Treppe hoch zur Eingangstür wurde von zwei Säulen flankiert, die einen Portikus trugen. Die meisten Türen sahen aus, als müssten sie dringend gestrichen werden. Chadwick hatte gehört, dass man in den Häusern unzählige möblierte Zimmer eingerichtet hatte.
Verschiedene Namen standen auf der Klingelanlage des Hauses, das er aufsuchte. Chadwick hatte den Besuch für den frühen Abend geplant, weil er meinte, dass es die beste Zeit sei, um Tania Hutchison anzutreffen. Das Problem war, dass er sie nicht auf seinen Besuch vorbereiten wollte. Wenn sie etwas mit dem Mord an Linda zu tun hatte, dann konnte es sein, dass sie genau in der Sekunde verduftete, wenn sie seine Stimme hörte. Er musste sich auf andere Weise Zugang zum Haus verschaffen.
Tania wohnte, so stellte er fest, in Wohnung Nr. 8. Er fragte sich, wie sicherheitsbewusst die anderen Mieter waren. Wenn Drogen im Spiel waren, passten sie wahrscheinlich höllisch auf. Doch wenn
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