Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
davon kannte Banks von früher: Geoff und Stella Hutchinson von der Nummer 24 und Ray und Max, die beiden Schwulen von gegenüber. Die Übrigen waren entweder Kollegen von Harriet aus der Bibliothek oder von ihrem Mann David, der in der geheimnisvollen und in Banks' Augen langweiligen Welt der Computer zu Hause war. Einige von ihnen kannte Banks vom Sehen.
Er war direkt von der Dienststelle hergekommen, die keine fünf Minuten entfernt war, hatte nur kurz bei Oddbins gehalten, um den Wein zu holen. Banks hatte fast den ganzen Tag im Büro verbracht und die Aussageprotokolle und Gutachten der Rechtsmedizin im Hayley-Daniels-Fall gesichtet. Hin und wieder hatte er an Annies Ermittlung denken müssen: Lucy Payne im Rollstuhl mit aufgeschlitzter Kehle. Er konnte sich noch erinnern, wie Lucy im Krankenbett gelegen hatte, eine irgendwie bedauernswerte, zerbrechliche Gestalt mit ihrem schönen, blassen, halb verbundenen Gesicht, das gleichzeitig rätselhaft, intrigant, manipulativ und wohl auch böse war. In der Hinsicht war Banks nie zu einem Schluss gekommen, auch wenn er einer der wenigen gewesen war, der die Videos gesehen hatte. Sie hatten ihn überzeugt, dass Lucy an der Entführung und- sexuellen Folter der Mädchen genauso beteiligt war wie ihr Mann Terry. Ob sie tatsächlich eines umgebracht hatte, war eine ganz andere Frage, über die die Gerichte nie zu befinden hatten. Aber alle waren davon überzeugt. Lucys Blick hatte nichts verraten, sie hatte einen starken Selbsterhaltungstrieb gehabt.
Banks fand es immer schwer, vom Makabren zu Profanem überzugehen, doch manchmal war belangloser Smalltalk über Englands Chancen, nach dem armseligen 0:0 gegen Israel das nächste Spiel gegen Andorra zu gewinnen, oder Gespräche über die Aussichten der Tories bei den kommenden Wahlen eine willkommene Abwechslung zu den Sorgen des Tages.
Dinnerpartys machten ihn aus unerfindlichem Grund immer nervös, und er konnte nicht mal zur Beruhigung etwas trinken, weil er noch fahren musste. Er würde nicht dasselbe Risiko eingehen wie Annie kürzlich. Sie hatte Glück gehabt. Banks hätte Annie wahrscheinlich als Begleitung mitgenommen, wenn sie sich momentan besser verstanden hätten. Auch wenn sie keine Beziehung mehr miteinander hatten, unterstützten sie sich gegenseitig bei gesellschaftlichen Anlässen wie diesem, da musste man zusammenhalten. Doch nach Annies seltsamem Benehmen bei den letzten beiden Begegnungen wusste er nicht, wie die Dinge zwischen ihnen standen oder sich entwickeln würden.
Nach der Begrüßung nahm Banks das Glas Wein, das David ihm anbot, und setzte sich neben Geoff und Stella. Geoff war Rettungssanitäter, demnach bestand keine Gefahr, dass er von RAM und CPU schwadronierte. Mit Toten oder Sterbenden kam Banks zurecht. Stella hatte ein Antiquitätengeschäft auf der Castle Road und immer die eine oder andere interessante Geschichte zu erzählen.
Während Banks sich unterhielt, musterte er verstohlen die anderen Gäste. Er sah ein hochnäsiges Pärchen, das er von einer anderen Party kannte und nicht besonders mochte. Die beiden gehörten zu der Sorte, die nach ein paar Glas Alkohol glaubten, sie wären dazu berufen, der Welt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber die anderen Gäste waren in Ordnung. Die meisten waren ungefähr in Banks' Alter, Mitte fünfzig, oder ein bisschen jünger. Harriet hatte im Hintergrund leise klassische Musik angestellt, offensichtlich Bach, und aus der Küche zog der Geruch von Lammbraten mit Knoblauch und Rosmarin herüber. Einige Teller mit Vorspeisen gingen herum, und Banks nahm sich ein Würstchen im Blätterteig.
Zum Glück war er nicht der einzige Single in der Gruppe. Die meisten Gäste waren zu zweit da, aber Banks wusste, dass Graham Kirk aus der übernächsten Straße sich gerade von seiner Frau getrennt hatte und dass Gemma Bradley, die schon gut einen sitzen hatte, vor zwei Jahren ihren dritten Mann aus dem Haus gejagt und noch keinen vierten gefunden hatte. Harriet war eine Kollegin von Gemma und hatte offenbar Mitleid mit ihr. Auch Trevor Willis war Single, ein ziemlich griesgrämiger Witwer, der immer wieder mit Daphne Venables, der Frau eines Kollegen von David, zum Rauchen vor die Tür ging. Banks wusste von früheren Anlässen, dass Trevor zu den Leuten gehörte, die immer ruhiger und mürrischer wurden, je mehr sie tranken, bis sie schließlich einschliefen - einmal war er dabei mit dem Kopf in den Nachtisch
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