Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
altes Medaillon an einer silbernen Kette, das sie hin und wieder mit Daumen und Zeigefinger betastete. Sophia hatte volle Lippen, und Banks hatte noch nie so dunkle und betörende Augen gesehen wie bei ihr. Ein Mann würde darin ertrinken können. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte ihm zu. Er fühlte, wie er rot anlief. Jetzt war er nicht mehr unsichtbar.
Das Gespräch kam wie immer auf die Verbrechensstatistik, auf Komasaufen, Jugendgangs, Überfälle, unsichere Straßen, auf Mord und Chaos im Allgemeinen, dann auf die vermeintliche Unfähigkeit der Polizei, auch nur das einfachste, simpelste Verbrechen aufzuklären und die braven Steuerzahler vor Dieben, Einbrechern und Vergewaltigern zu schützen. Auch wenn das alles nicht direkt an Banks gerichtet war, gab es dennoch gewisse Anspielungen und versteckte Aufforderungen, und als Banks nicht darauf einging, lenkte Daphnes Mann Quentin, einer der hochnäsigen Wichser, das Gespräch auf Einzelfälle, beispielsweise auf den Mord an Hayley Daniels.
»Denkt mal an das arme Mädchen, das letzte Woche mitten in der Stadt ermordet wurde«, sagte er, die Lippen ein wenig zu feucht und zu rot vom Wein, ein Leuchten in den Augen und eine Schweißschicht auf Oberlippe und Stirn. Steif saß Daphne mit verschränkten Armen neben Banks und sah aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. »In allen Zeitungen steht«, fuhr er fort, »dass es einer war, den sie kannte, ein Exfreund oder so. Das ist doch immer so, oder? Aber ist irgendjemand verhaftet worden? Nein. Ich meine, was hält die Polizei davon ab? Sind die unterbelichtet, oder was? Man sollte doch meinen, dass sie inzwischen Bescheid wüssten.«
Ein anderer gab die Schuld den milden Richtern, der Staatsanwaltschaft und den gerissenen Strafverteidigern, und immer noch schwieg Banks. Ein, zwei Gäste lachten nervös, und Max sagte: »Ach, wahrscheinlich haben sie nur die Beweise verloren. Das passiert doch dauernd, oder? Oder sie fälschen sie.« Er warf Banks einen Seitenblick zu.
Da ertönte die schneidende Stimme von Sophia: »Also wirklich, ihr solltet euch mal reden hören! Seid ihr etwa so dumm, dass ihr alles glaubt, was in der Zeitung steht oder im Fernsehen kommt? Wenn ihr mich fragt, dann habt ihr zu viele Krimis geguckt. Zu viel Frost, Morse und Rebus. Was glaubt ihr denn, wie das läuft? Glaubt ihr wirklich, der Polizist wacht mitten in der Nacht mit einem Geistesblitz auf und sagt sich: >Ha! Heureka, ich hab's! Ich weiß die Lösung!< Werdet mal erwachsen! Das Ganze ist harte Arbeit.«
Da waren alle still. Nach einer kurzen Pause schaute Banks zu Sophia hinüber und sagte: »Also, ich wache wirklich manchmal mitten in der Nacht mit einem Geistesblitz auf, aber meistens ist es dann doch nur ein verdorbener Magen.«
Zuerst schwiegen alle, dann lachten sie auf. Sophia erwiderte Banks' Blick und schien ihn mit ihren dunklen Augen ergründen zu wollen. Dann lächelte sie wieder, und diesmal war es irgendwie anders, hatte es etwas Vertrautes.
Die Unterhaltung wurde in kleineren Gruppen weitergeführt. Irgendwann sprach Banks mit Sophia darüber, wie gern sie nachts durch London bummelte, und er schilderte ihr einen seiner Lieblingsspaziergänge durch die Dales, dann gesellte sich Harriet dazu und gab ein paar Anekdoten aus der Zeit zum Besten, als sie den Bibliotheksbus fuhr. Das Dessert wurde serviert, ein Apfel-Rhabarber-Crumble mit Vanillesoße, dann ging es zurück ins Wohnzimmer, wo es Kaffee und Digestifs gab, die Banks ablehnte.
Der Abend verlor an Schwung. Die Betrunkenen waren in Schweigen versunken, unterbrochen nur vom gelegentlichen Schnarchen Trevors und einem Zucken von Gemma. Die Übrigen unterhielten sich leise, die Kaffeetassen dampften, alle waren satt und müde vom Essen und vom Wein. Selbst das Lampenlicht im Wohnzimmer wirkte wärmer und gedämpfter. Bach war abgelöst worden von Paul Simons Graceland, das leise im Hintergrund zu hören war. Banks war so gemütlich zumute, dass er auf der Stelle hätte einschlafen können, doch er riss sich zusammen. Langsam erhoben sich die Gäste und begaben sich zur Tür. Es war Zeit zu gehen, Zeit für die lange Heimfahrt nach Gratly, vielleicht mit lauter Musik aus dem iPod, um sich wachzuhalten.
»Letzte Runde, die Herrschaften, bitte«, rief der Wirt des Horse and Hounds um kurz vor halb zwölf. »Na los, auf geht's! Habt ihr denn alle kein Zuhause?«
Chelsea hatte noch einen halben Bacardi
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