Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
sagte Dr. Wong. »Detective Sergeant Templeton, nicht wahr? Ich glaube nicht, dass ich ihn kannte.«
»Er war kein richtiger Freund«, sagte Banks. »Eher ein Kollege. Aber trotzdem danke.« Er zeigte auf das Zimmer. »Wie geht es ihr?«
Dr. Wong hob die Augenbrauen. »Körperlich? Alles in Ordnung. Soweit ich sehen konnte, gibt es keinen Hinweis auf Verletzungen oder Vergewaltigung, überhaupt für sexuelle Aktivität. Aber ich vermute, das wussten Sie schon. Was mich sozusagen zu der Frage bringt ...«
»Warum sie hier ist?«
»Genau.«
Banks erklärte ihr die chaotische Situation im Labyrinth und die alles andere als zufriedenstellende Alternative, Chelsea mit auf die Dienststelle zu nehmen, ihr dort einen Papieroverall zu geben und ihre Kleidung einzutüten, weswegen ihre Eltern zweifellos einen Aufstand gemacht hätten, und all das unter greller Neonbeleuchtung.
»Dann war es schon richtig so«, sagte Dr. Wong. »Die Eltern sind übrigens im Familienzimmer, wenn Sie mit denen sprechen wollen.«
»Sie zeigen uns also nicht beim Verwaltungsrat wegen Verschwendung von Arbeitszeit an?«
»Ich glaube nicht. Diesmal nicht. Natürlich nur unter Voraussetzung einer angemessenen Spende an den Opferfonds und einem Single Malt meiner Wahl. Nein, im Ernst, körperlich ist sie unversehrt, aber sie hat einen furchtbaren Schock. Wurde ziemlich schnell wieder nüchtern, würde ich sagen. Ich habe ihr ein schwaches Sedativum verabreicht - nichts, das sie umhaut oder sich schlecht mit dem Alkohol vertragen würde, den sie erkennbar getrunken hat -, sie sollte also klar genug im Kopf sein, falls Sie mit ihr sprechen wollen.«
»Würde ich gerne, ja.«
Dr. Wong schob die Tür mit der Schulter auf. »Kommen Sie mit!«
Sie stellte Banks und Winsome Chelsea vor, und Banks nahm dem Mädchen gegenüber in einem tiefen Sessel Platz. Winsome setzte sich an die Seite und holte unauffällig ihr Notizbuch hervor. Im Hintergrund lief leise Musik, die Banks nicht erkannte, aber zweifellos war sie so gewählt, dass sie größte Entspannung und ein Gefühl von Ruhe gewährleistete. Sie hätten ja auch die Ambient Music von Brian Eno nehmen können, dachte er, beispielsweise Ambient 1: Music for Airports oder auch Thursday Afternoon. Das hätte beides gut gepasst.
Chelsea trug ein blaues Krankenhaushemd. Ihr langes Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, so dass sie eher wie ein hilfloses kleines Mädchen denn wie eine junge Frau aussah. Ihre Augen hatten rote Ränder, doch ihr Blick war klar. Sie hatte ein schönes Gesicht, fand Banks, hohe Wangenknochen, einen kräftigen Kiefer und blasse Haut mit Sommersprossen. Chelsea hatte die Beine untergeschlagen, ihre Hände lagen auf den Armlehnen.
»Kaffee?«, fragte Dr. Wong.
Chelsea lehnte ab, Banks und Winsome nahmen das Angebot dankend an. »Ich hole ihn nicht selbst für Sie, wissen Sie«, sagte Dr. Wong. »So tief lasse ich mich nicht herab.«
»Ist mir egal, wer ihn bringt«, sagte Banks, »Hauptsache, er ist schwarz und stark.«
Dr. Wong lächelte. »Das wollte ich bloß hören.« Sie verließ das Zimmer.
Banks lächelte Chelsea an, die ihn argwöhnisch betrachtete. »Ärzte«, sagte er mit einem Achselzucken.
Sie nickte, und der Anflug eines Lächelns huschte über ihre Mundwinkel.
»Ich weiß, wie schwer das für Sie ist«, fuhr Banks fort, »aber ich möchte gern, dass Sie mir in Ihren eigenen Worten schildern, was genau heute Nacht im Labyrinth geschehen ist. Lassen Sie sich Zeit dabei. Meine Kollegin Winsome da drüben wird alles mitschreiben. Sie könnten damit anfangen, warum Sie überhaupt dort waren.«
Chelsea warf Winsome einen Blick zu und sah dann zu Boden. »Das war so dumm von mir«, sagte sie. »Es war eine Wette. Ich hatte mit Mickey Johnston gewettet. Nur fünf Minuten. Ich dachte ja nicht, wissen Sie, in den Zeitungen stand, es war ihr Exfreund oder so. Meine Mum hatte mir gesagt, ich soll vorsichtig sein, aber ich konnte mir echt nicht vorstellen, dass es so gefährlich sein würde.«
Banks merkte sich den Namen. Mr Mickey Johnston konnte sich schon mal darauf vorbereiten, dass er in Kürze großen Ärger bekommen würde. »Okay«, sagte er, »aber es muss schon ein bisschen gruselig gewesen sein, oder?« Lautlos kam eine Krankenschwester mit zwei Kaffee auf einem Tablett herein, das sie neben die Tulpen auf den Tisch stellte. Er war aus dem Automaten unten im
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