Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
»wollte der mich umbringen?«
»Nein«, antwortete Banks. »Ich glaube, der wollte sie beschützen.«
Als Chelsea und Winsome fort waren, saß Banks noch lange in dem stillen Raum und ließ sich durch den Kopf gehen, was er gerade erfahren hatte. Jetzt war ihm noch klarer als zuvor, dass er sich mit Annie Cabbot in Verbindung setzen musste. Möglicherweise war es eine Mörderin gewesen. Mit einer scharfen Klinge. Eine durchtrennte Kehle. Banks glaubte nicht an solche Zufälle, und Annie tat es auch nicht, das wusste er.
* 14
Als Annies Telefon am Sonntagmorgen um halb acht klingelte, war sie noch nicht wieder richtig eingeschlafen, nachdem sie von dem Geräusch und dem schlechten Traum um drei Uhr nachts geweckt worden war. Sie hatte wach gelegen und an Banks und Eric, an Lucy Payne, Kirsten Farrow und Maggie Forrest gedacht, bis alles zu einem verwirrten Knäuel wurde, dann hatte sie eine Weile unruhig gedöst. Und jetzt das Telefon.
Annie tastete nach dem Hörer und murmelte ihren Namen.
»'tschuldigung, habe ich Sie geweckt?«, fragte eine Stimme am anderen Ende. Irgendwie klang sie sonderbar. Zumindest war es nicht Eric.
»Schon gut«, sagte sie. »Ist eh Zeit zum Aufstehen.«
»Ich habe extra bis zu einer vernünftigen Uhrzeit gewartet. Zuerst habe ich auf der Dienststelle angerufen, und da sagte man mir, ich könnte Sie unter dieser Nummer erreichen. Bei euch ist es halb acht, stimmt's, und die Polizei ist immer früh auf den Beinen, oder?«
»So ungefähr«, sagte Annie. Jetzt konnte sie den Akzent zuordnen. Australisch. »Dann sind Sie wohl Keith McLaren«, sagte Annie.
»Genau. Ich rufe aus Sydney an. Hier ist es halb sieben Uhr abends.«
»Wenn es das doch hier auch schon wäre! Dann hätte ich den Arbeitstag hinter mir.«
McLaren lachte. Es hörte sich an, als sei er direkt um die Ecke. »Aber heute ist Sonntag.«
»Ha!«, lachte Annie. »Das macht für Superintendent Brough keinen Unterschied. Na, ist auf jeden Fall gut, dass Sie so schnell von sich hören lassen. Danke für den Rückruf.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen noch irgendwas Neues sagen kann, aber die Beamtin, die mich anrief, meinte, es sei wirklich wichtig.«
Ginger hatte über die Polizei von Sydney Kontakt mit McLaren aufgenommen. Er war natürlich nicht vorbestraft, aber man hatte die Kollegen dort über das informiert, was vor achtzehn Jahren in Yorkshire geschehen war - deshalb war sein Name in den Akten. »Könnte sein«, sagte Annie und klemmte das schnurlose Telefon unters Kinn, holte sich Wasser und stellte den Wasserkessel an. Sie war nackt, was ihr irgendwie peinlich war, aber es konnte sie ja niemand sehen, versicherte sie sich. So einfach war es gar nicht, sich anzuziehen und gleichzeitig zu telefonieren. Sie trank einen Schluck Wasser und schlug den Block vor sich auf dem Tisch auf. Sie hörte, dass der Kessel kurz vorm Kochen war. »Ich hoffe, dass diese Erinnerungen für Sie nicht allzu schmerzhaft sind«, fuhr sie fort, »aber ich möchte mit Ihnen über das sprechen, was Sie vor achtzehn Jahren in England erlebten.«
»Warum? Haben Sie endlich herausgefunden, wer es war?«
»Wir wissen es noch nicht, aber es könnte eine Verbindung zu meinem aktuellen Fall geben. Jedenfalls kam Ihr Fall vor kurzem zur Sprache. Ist Ihnen im Lauf der Jahre vielleicht noch mehr eingefallen?«
»Ja, ein paar Kleinigkeiten, doch. Erst war mein Kopf völlig leer, und dann fiel mir wieder das eine oder andere ein. Ich habe immer alles aufgeschrieben. Mein Arzt meinte, das wäre eine gute Therapie, und es hilft wirklich. Wenn ich ein Detail aufschreibe, fällt mir manchmal noch mehr ein. Das ist sonderbar. Im Großen und Ganzen erinnere ich mich an das meiste, bis ich in Staithes war, danach ist alles eher verschwommen. Ist das nicht komisch? Dass ich mich so wenig an den größten Urlaub meines Lebens erinnern kann? Reine Geldverschwendung, wenn man es recht bedenkt. Vielleicht hätte ich eine Rückerstattung beantragen sollen.«
Annie lachte. »Wäre eine gute Idee gewesen. Was ist mit dem Tag in Staithes? Ein Zeuge meinte, er hätte Sie in Begleitung einer jungen Frau am Hafen gesehen.«
»Ich weiß. Wie gesagt, es ist alles verschwommen. Ich habe nur so ein vages Gefühl, unten am Hafen mit jemandem geredet zu haben, und ich dachte, es sei jemand, den ich kenne. Aber ich weiß nicht mal, ob es ein Mann oder eine Frau war.«
»Es war
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