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Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht

Titel: Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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Frau hatte diese Grenze überschritten; auch Annie hatte am Rand der Welt gestanden und in den Abgrund geblickt. Es hatte ihr gereicht.
      Annie hatte das überwältigende Gefühl, an einer wichtigen Gabelung in ihrem Leben zu stehen, ohne zu wissen, welche Richtung sie einschlagen sollte. Die Wegweiser waren schlecht oder gar nicht lesbar. Sie wusste nur, dass sie sich in letzter Zeit sehr sonderbar benommen hatte. Kam ihr ein Mann zu nahe, hatte sie sich nicht mehr im Griff. Infolgedessen hatte sie die Kontrolle dem Alkohol überlassen und war mit einem Jugendlichen nach Hause gegangen. Welche Dämonen auch immer sie trieben, sie musste zur Ruhe kommen, sich zusammenreißen, eine neue Perspektive entwickeln, vielleicht sogar einen Plan.
      Vielleicht brauchte Annie Hilfe von außen, auch wenn sich ihr bei der Vorstellung innerlich alles zusammenzog und sie vor Angst zitterte. Doch dann könnte sie wenigstens die Wegweiser lesen. Was auch immer sie tun würde, sie musste den Teufelskreis aus Torheit und Selbsttäuschung durchbrechen, in dem sie sich hatte fangen lassen.
      Und dann war da natürlich noch Banks; es schien fast so, als sei er immer da. Warum hatte sie ihn sich so lange vom Leibe gehalten? Warum hatte sie die Freundschaft zu ihm in der letzten Woche so missbraucht, sich ihm in ihrem betrunkenen Taumel an den Hals geworfen und ihm ins Gesicht gelogen, sich mit ihrem Freund gestritten zu haben, obwohl er ihr nur helfen wollte? Einfach nur, weil es ihn gab? Weil sie ...? Es war sinnlos. Wie sehr Annie sich auch bemühte, ihr wollte einfach nicht einfallen, was sie und ihn überhaupt auseinandergetrieben hatte. War das Problem tatsächlich so unüberwindlich gewesen? War es wirklich nur die Arbeit? Oder war das ein Vorwand? Annie wusste, dass sie Angst vor der plötzlichen Intensität ihrer Gefühle für Banks gehabt hatte, vor der Intimität. Das war einer der Gründe für Annies Rückzug gewesen, das und die Zuneigung, die Banks zwangsläufig noch für seine Exfrau und Kinder empfand. Es war hart gewesen. Annie trank den heißen Jasmintee und blickte auf den Horizont. Sie dachte an die Leiche von Lucy Payne, die dort am Klippenrand gesessen hatte. Ihr letzter Blick hatte demselben Horizont gegolten.
      Annie musste wieder zu professioneller Arbeit zurückkehren, noch einmal mit Banks über den Fall Kirsten Farrow und dessen Hintergrund reden, speziell nach ihrem Gespräch mit Sarah Bingham. Wenn Kirsten untergetaucht war, konnte es gut sein, dass sie nach Whitby fuhr, um Eastcote zu töten, den Mann, der ihr die Zukunft gestohlen hatte. Sarah Bingham hatte damals gelogen, was Kirsten anging. In Wahrheit hatte sie keinerlei Alibi.
      Annie trank den Tee aus und merkte, dass es leicht zu regnen begonnen hatte. Vielleicht würde das Klopfen der Regentropfen an ihrem Fenster helfen, wieder in den Schlaf zu finden, so wie damals als Kind, nach dem Tod ihrer Mutter. Aber irgendwie bezweifelte sie es.
     
    Das Beratungszentrum für sexuellen Missbrauch, der neue Stolz des Allgemeinen Krankenhauses von Eastvale, war in jeder Hinsicht so gestaltet, dass sich die Patienten wohl fühlten. Das Licht war gedimmt - keine Neonröhren oder nackte Glühbirnen unter der Decke -, und die Farben waren beruhigend, Grün- und Blautöne mit ein wenig Orange für die Wärme. Eine große Blumenvase mit Tulpen stand auf einem niedrigen Glastisch, an den Wänden hingen Seestücke und Landschaftsbilder. Die Sessel waren gemütlich, und Banks wusste, dass selbst die Liegen im angrenzenden Untersuchungszimmer bequem wirkten. Auch dort waren die Farben in warmen Tönen gehalten. Alles war so gestaltet, dass das zweite Martyrium des Opfers möglichst angenehm verlief.
      Banks und Winsome standen mit Dr. Shirley Wong vor der Tür. Banks hatte schon mehrmals mit der Ärztin zu tun gehabt und sogar ein- oder zweimal etwas mit ihr getrunken, wenn auch nur als Kollegin. Dr. Wong war eine engagierte, sanfte Frau, erstklassig für diese Arbeit geeignet. Sie legte Wert darauf, mit allen in Kontakt zu bleiben, die bei ihr gewesen waren, und hatte ein Gedächtnis, um das Banks sie beneidete. Sie war eine Frau Ende vierzig, zierlich und mit kurzem Haar und trug eine Brille mit silbernem Gestell. Banks staunte immer wieder aufs Neue über ihren Geordie-Akzent, aber Dr. Wong war in Dur-ham geboren und aufgewachsen. Er stellte sie Winsome vor, und die beiden Frauen gaben sich die Hand.
      »Es tut mir leid, das mit Ihrem Freund«,

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