Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
lange her, da hatte die Polizei von West York-shire einen Mann verhaftet, der regelmäßig drei Freundinnen mit Drogen gefügig gemacht und vergewaltigt hatte, die alle ohne weiteres einvernehmlich mit ihm geschlafen hätten. Wenn es um abstruse sexuelle Neigungen ging, gab es nicht mehr viel, das Banks überraschte.
Hayley hatte Kondome in der Handtasche gehabt, war also offenbar sexuell aktiv gewesen. Vielleicht hatte Stuart Kinsey sie doch ermordet, aus Frust oder Eifersucht. Das waren mächtige Gefühle, wie Banks von anderen Fällen wusste. Spielte Eifersucht eine Rolle, dann war ein Mann oder eine Frau eigentlich zu allem fähig.
Der Tee wurde gebracht, und Kinsey beruhigte sich. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich kann nur einfach den Gedanken nicht ertragen, dass ich vielleicht was hätte verhindern können, wenn ich nicht abgehauen wäre.«
»Sie wussten ja nicht, was da los war«, sagte Banks. Das war nur ein schwacher Trost, aber besser als nichts. Er beugte sich vor. »Ich finde Ihre Idee sehr interessant, dass Hayley einen heimlichen Geliebten gehabt haben könnte«, sagte er. »Irgendeine Vorstellung, wer das sein könnte und warum sie ihn geheim gehalten hat?«
* 6
»Schön, dich mal wieder zu sehen, Alan«, sagte Annie am frühen Dienstagnachmittag im Horse and Hounds, einem ruhigen Pub abseits des Marktplatzes, wo man einen anständigen Salat bekam und sich ein Bier gönnen konnte, ohne dass Detective Superintendent Catherine Gervaise es sofort erfuhr. Es gab einen winzigen, fensterlosen Barbereich für Nichtraucher, ganz aus glänzendem dunklen Holz und rotem Plüsch, an der Wand alte Jagdszenen - zumindest Abbildungen der Fuchsjagd waren noch nicht verboten -, wo anscheinend niemals jemand saß. Man musste zur großen Theke, um etwas zu trinken zu holen, aber abgesehen davon war es der perfekte Ort für ein Gespräch unter vier Augen.
Annie bestellte ein Diät-Bitter-Lemon, hatte seit Samstagabend keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Banks hatte schon einen großen Teil seines Tetley's heruntergespült, und Annie beneidete ihn, weil es ihm so gut schmeckte. Egal, dachte sie, es war ja nicht so, dass sie ein Gelübde abgelegt hätte, nie mehr etwas zu trinken. Sie machte nur eine kleine Pause, um wieder zu sich zu finden, die Lage zu sondieren und vielleicht ein bisschen abzunehmen. Vielleicht würde sie sich morgen ein Pint gönnen. Oder ein Glas Wein nach Dienstschluss. Der Burger, den Banks ebenfalls zu genießen schien, sprach sie zum Glück überhaupt nicht an.
»Und, wem haben wir das Vergnügen zu verdanken?«, fragte Banks nach einigen Minuten Smalltalk über gemeinsame Freunde und Bekannte aus der Eastern Area.
»Ich weiß, dass du an dem Labyrinth-Fall arbeitest«, sagte Annie. »Ich hab davon gehört. Armes Mädchen. Gibt's schon Verdächtige?«
»Mehrere. Wir warten auf die Ergebnisse aus der Gerichtsmedizin und der Toxikologie«, erklärte Banks. »Und es gibt noch ein paar Leute, mit denen wir uns unterhalten müssen. Kev Templeton meint schon jetzt, wir hätten's mit einem Serienmörder zu tun. Vielleicht hat er recht. Auch wenn es bis jetzt nur ein Opfer gibt, finden sich alle Merkmale eines gewaltsamen Sexualverbrechens, und solche Leute hören meistens nicht nach dem ersten Mal auf.«
»Kevin Templeton ist ein Arschloch«, sagte Annie.
»Schon möglich, aber er kann ein guter Polizist sein, wenn er sich reinhängt.«
Annie schnaubte verächtlich. »Egal«, sagte sie, »ich glaube, es wird dich interessieren, was da draußen in Whitby passiert ist.«
»Aha«, bemerkte Banks. »Jetzt bin ich aber neugierig. Ich hab irgendwas gehört, eine Frau im Rollstuhl sei ermordet worden?«
»Genau«, sagte Annie. »Eine Frau namens Karen Drew.«
»Sagt mir gar nichts.«
»Kann es auch nicht«, entgegnete Annie. »Das ist nämlich nicht ihr richtiger Name.«
»Ah.«
»Nein. Julia Ford hat mir gestern ihren richtigen Namen verraten.«
Banks wollte gerade vom Burger abbeißen. Auf halbem Weg hielt er inne und legte ihn zurück auf den Teller. »Julia Ford? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Klingelt's bei dir?«
»Ja, aber das Geklingel hört sich nicht sehr gut an. Julia Ford. Eine Frau im Rollstuhl. Klingelt sehr schrill, wenn du mich fragst.«
»Es war Lucy Payne.«
»Mist«, sagte Banks. »Die Presse weiß bisher noch nicht Bescheid, oder?«
»Nein, aber die
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