Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
sie konnte manchmal etwas Randale machen, aber das war nur Spaß. Manchmal dachte ich, so hielt sie sich die Leute vom Leib. Wenn man zu einer größeren Clique gehört, muss man keinem besonders nahekommen, kann alle auf Abstand halten. Wenn man sich mal mit ihr unterhielt, dann sagte sie irgendwas, und ehe man sich versah, redeten alle mit, und sie lachte über einen anderen Witz. Man konnte sie nie lange für sich haben.«
»Das muss sehr frustrierend gewesen sein«, meinte Banks.
»Stimmt.«
»Und wie ging es weiter?«
»Also, eigentlich ging es nicht weiter. Ich hab nicht mit ihr geschlafen oder so. Nur gekuschelt und so. In letzter Zeit hatte ich manchmal den Eindruck, sie würde ... ach, egal.«
»Vielleicht nicht, Stuart«, sagte Banks. »Lassen Sie mich das selbst beurteilen!«
Kinsey überlegte und kaute an einem Fingernagel. »Kann ich vielleicht eine Tasse Tee haben oder so?«, fragte er. »Ich hab Durst.«
»Sicher.« Da Banks den Rhythmus der Befragung nicht stören wollte, machte er Winsome ein Zeichen, die daraufhin aufstand und den Constable vor der Tür bat, eine Tasse Tee aufzutreiben.
»Dauert nicht lange«, sagte Banks zu Kinsey. »So, Stuart, Sie wollten mir gerade erzählen, dass Sie eine gewisse Ahnung in Bezug auf Hayley hatten.«
»Also, na ja, es war eher nur so eine Idee von mir.«
»Trotzdem ...«
»Ein paar Mal dachte ich, sie hätte vielleicht einen Macker.«
»Wann fing das an?«
»Vor ein paar Monaten. So ungefähr.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer der Typ war? Irgendeiner aus der Clique?«
»Nee. Sie hielt das geheim.« Kinsey beugte sich über den Tisch. »Verstehen Sie, das meinte ich damit, als ich sagte, ich war im Labyrinth. Ich wollte sehen, wo sie hinging. Ich wollte ihr hinterher und sehen, mit wem sie sich traf.«
»Aber Sie haben Hayley nicht gesehen?«
»Nein. Ich dachte, sie wäre schon weg. Ich meine, das waren schließlich gute fünf Minuten oder so, nachdem sie abgehauen war. So lange braucht man nicht, um zu ... Sie wissen schon.«
»Gut«, sagte Banks. Er erinnerte sich, dass Dr. Burns bemerkt hatte, Hayley habe sich übergeben. Das hatte sicherlich eine Weile gedauert. »Haben Sie dort irgendwas gesehen oder gehört?«
»Ich ... ich meine, ich hätte eine Tür zuschlagen gehört und so ein ... keinen Schrei, eher so eine Art unterdrückten Ruf. Sie glauben doch nicht, dass das Hayley war, oder? Ich hab echt eine Gänsehaut gekriegt, kann ich Ihnen sagen.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Kurz nachdem ich reingegangen war. Ich hab nicht so auf die Zeit geachtet, aber ich schätze, es war so um fünf vor halb oder so.«
Nur fünf Minuten nachdem Hayley selbst ins Labyrinth gegangen war, dachte Banks. »Haben Sie irgendjemanden gesehen?«
»Nein, nichts.«
»Was haben Sie getan, als Sie dieses Geräusch hörten? Sind Sie deshalb weggelaufen?«
Kinsey nickte und studierte den zerkratzten Tisch. »Ich bin nichts wie raus da«, sagte er. »Ich dachte mir, sie wäre schon längst fertig und wieder weg. Sie glauben doch nicht wirklich, dass es Hayley war, die ich da gehört habe, oder? Dann hätte ich sie vielleicht retten können, aber ich hab Schiss gekriegt. Oh Gott!« Kinsey barg den Kopf in den Händen und begann zu weinen.
Banks war sich so gut wie sicher, dass es tatsächlich Hayley gewesen war, die Kinsey gehört hatte, doch das würde er jetzt nicht sagen. Kinseys eigene Phantasie würde ihn schon genug quälen. Jetzt konnten sie den Zeitpunkt des Angriffs wenigstens genauer eingrenzen. Hayleys Mörder hatte gut fünf Minuten, nachdem sie das Labyrinth betreten hatte, zugeschlagen, kurz nachdem sie sich übergeben und ihre Notdurft verrichtet hatte. Vielleicht hatte der Täter sie beobachtet, und es hatte ihn erregt.
Natürlich leuchtete der Zeitpunkt ein. Hayley hätte sich kaum länger dort aufgehalten, wenn sie dort nicht verabredet gewesen war. Banks musste an den geheimnisvollen Freund denken, von dem Kinsey gesprochen hatte. Hatte sie sich vielleicht mit ihm treffen wollen? Hatte er sie möglicherweise getötet? Aber warum verabredete sie sich mit ihm im Labyrinth, wenn sie eh die Nacht mit ihm verbringen wollte? Es wäre doch weitaus sinnvoller gewesen, zu seiner Wohnung oder seinem Haus zu gehen. Aber warum sollte ihr Freund sie vergewaltigen und sogar ermorden? Sicher, so etwas kam vor, das war Banks klar. Es war gar nicht
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