Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
nicht an Enkelkinder gedacht?« Colin seufzte. »Sie werden nie so, wie man sich das denkt, oder, Tom?«
Barnaby stellte sich sein kleines Mädchen vor, das jetzt neunzehn war. Groß, klug, boshaft, geschickt, umwerfend attraktiv und mit einem Herzen aus Platin. Er konnte nicht anders, aber er war stolz auf das, was sie erreichte, doch genauso verstand er, was Colin meinte.
»Nein, das werden sie wohl nicht«, pflichtete er Colin bei. »Bestimmt ist alles absolut nicht so, wie man es sich ausgemalt hat.«
Ernest Crawley tranchierte den Braten. Er arbeitete wie ein Chirurg, ohne Emotionen, aber mit großer Präzision und äußerst stilvoll, hantierte mit dem langen blitzenden Messer wie mit einem Krummsäbel und legte die Fleischscheiben sorgsam auf die vorgewärmte Platte.
Rosa briet derweil die Kartoffeln. Sie trug ein locker fließendes Gewand, dessen Ärmel jetzt gefährlich nah über dem stinkenden, spuckenden Fett flatterten.
»Wie kommen diese Typen eigentlich mit ihrer Rolle voran, Liebling?«
»Welche Typen?«
»Die, deren Name wie ein italienisches Gericht klingt.«
»Oh, die Venticellis. Schrecklich, in mehr als nur einer Hinsicht.«
Als Rosa ihm ein oder zwei der lustigsten Zwischenfälle von der Kostümprobe erzählt hatte, hatte sie Ernests Unwissenheit und seine fast ergreifende Neugier unwillkürlich mit Esslyns grandioser Selbstversunkenheit verglichen, die immer da war, aber unglaubliche Höhen erreichte, je näher sie der Premiere kamen. Das Haus barst fast vor Primadonnengehabe. Tatsächlich war auch ihr ganzes Eheleben mit genausoviel Lärm und Fanfaren durchsetzt gewesen wie ein Karnevalszug. Ein Fanfarentusch zur Premiere, zur letzten Vorstellung, zu den Proben, den Feiern und dann das endlose Drama zwischen ihnen beiden auf der Bühne sowie im Privatleben.
Als sie überrascht feststellte, daß sie unvorsichtigerweise in bittere Erinnerungen abgedriftet war, zwang sich Rosa zu einer realistischen Sicht ihres Ehelebens. Esslyn, der gesegnete Mann, hatte den größten Teil seiner Arbeitswoche in einer anderen Welt verbracht. Er war ins Büro gegangen, hatte Klienten zum Essen ausgeführt, und mit seinen Kollegen (keinen Freunden), die nichts mit dem Theater zu tun hatten, war er trinken gegangen. Rosa dagegen hatte die wenigen Freundinnen, die sie gehabt hatte, durch Nachlässigkeit und fehlendes Interesse verloren. Und da sie durch die vielen Vorstellungen mit dem Latimer verwoben war, schien ihre Rolle als Mrs. Carmichael immer trügerischer zu werden, bis es schließlich zum Bruch gekommen war.
In ihrer Ehe war ihr schon relativ früh klar geworden, daß Esslyn sich auch mit anderen Frauen einließ. Er hatte immer behauptet, vom Hauptdarsteller einer Theatergruppe erwarte man ein derartiges Verhalten, und er käme ja schließlich stets wieder nach Hause zurück. Rosa wurde dann wütend und warf ihm an den Kopf, wenn alles, was sie sich wünschte, bloß darin bestünde, daß jemand ungeschoren nach Hause käme, dann hätte sie ihre Zukunft auch mit einer Brieftaube verbringen können. Wie dem auch sei, als die Jahre dahingingen und er immer wieder nach Hause zurückkam, hatte sie sich nicht nur mit seinen Seitensprüngen abgefunden, sondern war auch auf eine seltsame Art irgendwie stolz auf ihre dauerhafte Anziehungskraft. Ähnlich einer Mutter, deren Kind ständig irgendwelche Preise nach Hause mitbringt. Es gab auch noch eine andere gute Seite an der ganzen Untreue, nämlich die, daß er weniger sexuelle Energie für seine Frau übrig hatte. Wie viele Menschen, die in einer Wolke hochfliegender Romantik leben, hielt Rosa nicht sehr viel von anstrengenden Aktivitäten im Schlafzimmer. (Hier, wie in so vielen anderen Dingen, war Ernest ebenfalls ideal, da er sich gern damit zufriedengab, samstags nach dem Mittagessen sanft, fast entschuldigend, in der Missionarsstellung auf ihr herumzuhüpfen.) Daher kam es für Rosa völlig überraschend, als Esslyn bekanntgab, daß er die Scheidung wollte. Er hatte gesagt, er hätte sich in ein siebzehnjähriges Mädchen verliebt, die in Mutter Gans die Prinzessin Carissima spielte, und obwohl das Mädchen ein paar Wochen später einen Freund in ihrem Alter gefunden, ihr Abitur gemacht hatte und vernünftig zur Universität gegangen war, trieb Esslyn die Scheidung voran, weil er den süßen Wein der Freiheit gekostet hatte.
Rosas Reaktion auf seine Abtrünnigkeit beängstigte und verwunderte sie
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