Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
Ende war, hatte ich einen Text von über zweihunderttausend Worten.«
»Und in welcher Phase haben Sie ihm das gesagt?«
»In keiner. Verstehen Sie nicht...?« Jennings, der Barnabys Miene richtig deutete, versetzte trotzig. »Er hätte sonst nicht weitererzählt. Gerald hat zum ersten Mal die Wahrheit über sich preisgegeben. Ich brauche Ihnen ja wohl kaum zu erklären, wie wichtig ... ja welche therapeutische Wirkung dieser Schritt haben kann.«
»Therapeutisch? Das hängt doch wohl ganz stark von der Integrität des Zuhörers ab«, warf Barnaby trocken ein. »Und davon, was diese Person mit ihrem Wissen anstellt. Ein Verrat, wie Sie ihn vorhatten ...«
»Wer gibt Ihnen das Recht, so etwas zu behaupten? Ich hatte keinen >Plan<. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich habe sogar versucht, Gerald davon zu überzeugen, einen Psychoanalytiker aufzusuchen. Ich kannte einige hervorragende Spezialisten. Er hätte es sich leisten können.«
»Und wie hat er auf diesen Vorschlag reagiert?«
»Er hat sich furchtbar aufgeregt und erklärt, daß es ihm unmöglich sei, jemand anderem seine Geschichte zu erzählen.
Ich habe meine Notizen dann in Romanform gebracht. Das dauerte nicht lange. Schon nach den ersten Seiten war ich davon überzeugt, daß man mir das Manuskript sofort abkaufen würde. Deshalb habe ich Geralds Reaktion getestet. Ich habe ihm mitgeteilt, daß ich Notizen von unseren Gesprächen gemacht habe ... sozusagen als Gedächtnisstütze. Er hat sofort verlangt, diese Aufzeichnungen zu sehen. Woraufhin ich ihm eines meiner Notizbücher überlassen habe. Beim nächsten Treffen erfuhr ich dann, daß er es verbrannt hatte.«
»Es war Ihnen also klar, wie kompromißlos seine Haltung in dieser Beziehung war?«
»Ja.«
»Damit hätte das Projekt für Sie doch beendet sein müssen, oder?«
»Leichter gesagt als getan.« Er beugte sich vor und sah Barnaby eindringlich an. »Es bestand ja nicht die geringste Gefahr, daß jemand Gerald mit diesem Buch in Verbindung gebracht hätte. Ich hatte sämtliche Namen geändert. Und die ...«
»Jetzt werden Sie aber sehr spitzfindig, Mr. Jennings. Diebstahl bleibt Diebstahl.«
»Schriftsteller stehlen ihr Leben lang. Gespräche, Manierismen. Situationen, Witze. Wir bestehlen uns sogar gegenseitig. Geklaut wird überall. Tut man das beim Film, wird so etwas hommage genannt.«
»Sehr intelligent argumentiert. Tatsache aber bleibt, daß es seine Geschichte war.«
»Die Geschichte gehört dem, der sie erzählen kann!« konterte Jennings aufgebracht. »Gerald hatte weder Talent noch Phantasie. Die wunderbare Story wäre für die Welt verloren gewesen. FarAway Hills hat ihn berühmt gemacht. Falls es so etwas wie einen anonymen Ruhm gibt.«
Barnaby schwieg. Jennings Theorie kam ihm reichlich dürftig vor. Troy, der mittlerweile wieder auf dem laufenden war, sah seine Chance gekommen zu punkten. »Bei allem Respekt ... mir scheint es doch eher so zu sein, daß das Buch Sie berühmt gemacht hat.«
»Also, wann haben Sie's ihm endlich gesagt?« fragte der Chefinspektor.
»Gar nicht. Ich hab's versucht. Viele Male. Jedesmal habe ich den Mut verloren. Letztendlich habe ich ihm ein Vorausexemplar per Kurier geschickt.«
»Großer Gott!«
»Natürlich mit einem Brief, in dem ich ihm alles erklärt und um Verständnis gebeten habe. Er hat nicht darauf reagiert. Als ich schließlich zu ihm gefahren bin, mußte ich vom Portier erfahren, daß Gerald Hals über Kopf ausgezogen war und seine Möbel irgendwo eingelagert hatte. Eine Nachsendeadresse existierte nicht. Ich habe ihn nicht wiedergesehen. Bis vergangene Woche.
Als das Buch herauskam, habe ich erneut versucht, ihn zu finden. Der Roman hatte eine enorme Resonanz beim Publikum. Ich habe Hunderte von Briefen bekommen. Von Menschen, die unter ähnlichen Kindheitstraumata litten. Tja, und dann ereilte mich wie aus heiterem Himmel dieser Brief aus Midsomer Worthy«
»Haben Sie ihn denn noch?«
»Ich fürchte, nein. Ich werfe unwichtige Korrespondenz immer sofort weg.«
»Aber Sie erinnern sich doch bestimmt an den Text, Mr. Jennings?« warf Troy ein. »Nach allem, was Sie uns erzählt haben, muß er doch wie eine Bombe bei Ihnen eingeschlagen haben.«
»So dramatisch war es nicht. Mittlerweile sind zehn Jahre ins Land gegangen. Ich habe inzwischen etliche weitere Bücher veröffentlicht und meinen ganz persönlichen Teil von Leid und
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