Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
abzulenken.«
»Wovon?«
Sie zuckte die Achseln. »Du bist hier der Detective.« Sie betrachtete ihr Werk. »Die Hände muss ich dir noch verbinden.«
»Solang ich noch fahren kann...«
»John...« Aber sie wusste, dass er nicht auf sie hören würde.
»Patience, wenn ich mit Händen wie eine Mumie rumlaufe, geht diese Runde an ihn.«
»Nicht wenn du dich weigerst mitzuspielen.«
Er sah die tiefe Sorge in ihren Augen, strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. Sah Janice genau das Gleiche bei ihm tun und zog die Hand schuldbewusst zurück.
»Tut weh, hm?«, fragte Patience, die Bewegung missdeutend. Er traute seiner Stimme nicht, nickte also bloß.
Später setzte er sich mit einem Becher Tee auf das Sofa. Er hatte zwei weitere Schmerztabletten geschluckt, diesmal rezeptpflichtige Hämmer. Seine verdreckten Sachen steckten zusammengeknüllt in einer schwarzen Mülltüte, bereit für die Reinigung. Wie schade, dachte er, dass er seine unreinen Gedanken nicht ebenso leicht säubern lassen konnte.
Als sein Handy trillerte, starrte er es ablehnend an. Es lag vor ihm auf dem Couchtisch, neben seinen Schlüsseln und dem Kleingeld.
Als er das Handy schließlich aufnahm, stand Patience in der Tür. Um ihre Lippen spielte ein kleines Lächeln, aber in ihren Augen lag keinerlei Belustigung. Sie hatte die ganze Zeit gewusst, dass er abnehmen würde.
Als Cal Brady vom Guiser's heimkam, fühlte er sich ziemlich gut.
Die Hochstimmung hielt genau zehn Sekunden lang vor. Sobald er sich aufs Bett gehauen hatte, fiel ihm das perverse Schwein wieder ein. Seine Mum hatte irgendeinen Kerl bei sich im Schlafzimmer;
die Wände waren so dünn, dass die es genauso gut direkt vor seiner Nase hätten treiben können. Alle Wohnungen waren so, wenn man also etwas unter Ausschluss der Öffentlichkeit machen wollte, musste man es leise tun. Er legte das Ohr an eine Wand, dann an eine andere: seine Mum und ihr Stecher; zwei verschiedene Fernsehsender - Jamie war noch wach und saß im Wohnzimmer vor der Glotze, und der Tragbare quäkte in Vans Zimmer, ein kläglicher Versuch, anderweitige Geräusche zu übertönen. Er legte das Ohr an den Fußboden. Er konnte noch immer alles hören, dazu noch jeden Schritt der Leute in der Wohnung darunter, jedes Husten und jedes Wort. Vor einiger Zeit war er zum Arzt gegangen und hatte gefragt, ob seine Ohren vielleicht empfindlicher als normal seien.
»Ich hör dauernd Sachen, die ich nicht hören will.«
Als er erklärt hatte, dass er in einem der Hochhäuser in Greenfield wohnte, hatte der Arzt ihm empfohlen, sich einen Walkman zu besorgen.
Aber auf der Straße war's das Gleiche: Er schnappte Gesprächsfetzen auf, Dinge, von denen die Redenden glaubten, er könnte sie nicht hören. Manchmal meinte er, es würde schlimmer, bildete sich ein, er könnte anderer Leute Herzschlag hören, das Rauschen des Blutes in ihren Adern. Er meinte, er könnte deren Gedanken hören. Wie zum Beispiel im Guiser's, wenn die Mädchen ihn ansahen und er sie anlächelte. Sie dachten: Er macht vielleicht nicht viel her, aber er ist mit Archie Frost zusammen, also muss er irgendwie wichtig sein. Sie dachten: Wenn ich mit ihm tanze, mir von ihm was spendieren lasse, bin ich näher an der Macht .
Was genau der Grund war, warum er selten irgendetwas tat , sondern lieber am Tresen stehen blieb, eine coole Haltung einnahm und kein Wort sagte. Aber zuhörte, immer zuhörte.
Immer allerlei Dinge mitbekam... Über Charmer, über die Gäste - Ama Petrie, ihren Bruder und den Rest der Bande. Seine eigene Version der Macht .
An dem Abend war im Klub nicht viel los gewesen. Wäre nicht die Busladung Leute aus Trenent eingetroffen, wäre es absolut tote Hose gewesen. Die hatten nicht sonderlich begeistert ausgesehen: niemand außer ihnen zum Tanzen da. Archie bezweifelte, dass sie sich noch mal blicken lassen würden. Archie sah sich schon nach einem neuen Betätigungsfeld um. An Klubs litt die Stadt keinen Mangel. Cal hatte allerdings noch nicht angefangen, sich umzusehen. Cal glaubte an Loyalität.
»Ich weiß, dass Charmer versucht, ein paar Schulden einzutreiben«, hatte Archie gesagt, »aber das Problem ist -er hat selbst Schulden. Nur 'ne Frage der Zeit, bis wir Besuch kriegen...«
Cal hatte die Schultern gestrafft, als wollte er sagen: Die sollen nur kommen.
Er wollte nachdenken, alles im Kopf auf die Reihe kriegen, deswegen war er in sein Schlafzimmer gegangen, statt sich zu Jamie vor die Glotze zu hocken. Aber
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