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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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kümmern.
    Als Macalvie ins Freie trat, brauste ein Mini die schmale Straße entlang. Er trug die Zulassungsnummer in sein Notizbuch ein. Für Macalvie machte auch Kleinvieh Mist, Hauptsache, ihm ging ein Übeltäter ins Netz.
    Er klappte das Notizbuch zu und sagte: «Fehlanzeige. Sie kennt Angela, weil Angela immer bei ihr rumhing und Chips and Whizzer las, ohne die Zeitschrift zu kaufen. Die Alte da drinnen konnte sie nicht ausstehen. Gestern abend hat sie Angela so gegen sechs vor die Tür gesetzt. Sie hat etwas später zugemacht als sonst.»
    Macalvie drehte einen Ständer mit Postkarten und zog eine heraus, eine Ansicht von der Stelle, an der sie jetzt standen. Er schob sich einen Kaugummi in den Mund und sagte: «Sie sind ein Kümmerer, was?»
    Jury sah Macalvie an, der seinerseits stirnrunzelnd die Ansichtskarte betrachtete. «Was wollen Sie damit sagen?»
    Macalvie hob die Schultern. «Ein Kümmerer ist ein Polizist, der auf die Schwachen aufpaßt. Wehrlose Frauen und so.»
    Jury lachte. «Sie sehen sich zu viele amerikanische Filme an, Macalvie.»
    Macalvie war keineswegs gekränkt. «Nein, im Ernst.»
    Und ernst sah er aus, während er die Ansichtskarte mit der Wirklichkeit verglich. Man hätte ihn für einen Künstler halten können, der Licht und Einfallswinkel prüfte. «Ich wüßte zu gern, was sie in Lyme will», sagte er zusammenhanglos.
    «Molly Singer?»
    Macalvie schüttelte den Kopf. «Sie ist nicht Molly Singer. Sie ist Mary Mulvanney.»
    Macalvie schob die Karte zurück in den Ständer und marschierte die Straße hoch.

V IERTER T EIL
    D AS G EMETZEL
VOM V ALENTINSTAG
     

10
    L ADY J ESSICA M ARY A LLAN -A SHCROFTS B LICK wanderte von einem leeren Feld auf dem Küchenkalender zum nächsten. Als sie sich, den schwarzen Wachsmalstift in der Hand, auf die Zehenspitzen stellte, reichte sie so eben an den Freitag heran: 14. Februar. Sie malte ein Riesen-X in das Feld, wobei ihr klar war, daß sie mogelte, denn es war erst Teezeit, und der gräßliche Tag war noch nicht zu Ende. Wieder ein leerer Tag, so leer wie das Kalenderfeld. Jetzt standen schon fünf X in einer Reihe. Auf dem Foto darüber waren die typischen grasenden Dartmoor-Ponys zu sehen. Sie sah sich das Foto für den Monat März an: die mächtige Felsformation des Vixen Tor und einige unbeirrbare Wanderer beim Aufstieg. Liefen sich für so ein paar alberne Steine die Hacken ab.
    Erst letzten August hatte sie mit Onkel Robert einen Ausflug gemacht und dabei an einem dieser Sammelpunkte für Touristen jede Menge Leute mit Rucksäcken gesehen, gestiefelt und gespornt und von Kopf bis Fuß gerüstet, um einen dieser Tors in Dartmoor zu bezwingen. Jessie und ihr Onkel waren bei offenem Verdeck mit seinem Zimmer umhergefahren, und sie hatte es einfach zu blöd gefunden, daß die zu Fuß gingen, wo man doch fahren konnte. Als sie das ihrem Onkel sagte, hatte er schallend gelacht.
     
    «Iß auf, Schätzchen», sagte Mrs. Mulchop. Mulchop, ihr Mann, war der Hausmeister und arbeitete gelegentlich auch als Butler, sah jedoch weder nach dem einen noch nach dem anderen aus. Jetzt saß er in der Küche und aß irgendwelche zusammengewürfelten Reste.
    Mrs. Mulchop verschob über der riesigen Feuerstelle in der riesigen Küche in dem riesigen Haus auf dem riesigen Anwesen einen Topf.
    Jessies Gedanken streiften wie ein Regenschleier über diese Riesengröße, das Herrenhaus von Ashcroft und das ganze Anwesen. «Es ist zu groß», sagte sie und starrte auf den Spiegelei-Toast auf ihrem Teller. Sie ekelte sich vor dem gelben Auge, das zurückstarrte.
    «Dein Ei, Schätzchen?»
    «Nein. Das Haus. Ich bin so allein.» Jessie stützte das Kinn in die Hand.
    Mrs. Mulchop richtete kopfschüttelnd den Blick gen Himmel. Ihr war nicht klar, daß sich unter dieser Melodramatik ein wirkliches Herzensdrama abspielte. «Du bist zehn Jahre alt und kein Kleinkind mehr. Dein Onkel wäre bestimmt sehr böse, wenn er dieses Selbstmitleid sehen würde.»
    Jessie war entgeistert. Wie konnte jemand auf die Idee kommen, Onkel Robert könnte böse auf Jessie sein? «Nein! Der versteht mich.» Jessie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Echte Tränen, mit denen sie nicht umzugehen wußte.
    «Kind, dein Onkel ist doch nur ein paar Tage weg. Kein Grund, sich deswegen Sorgen zu machen –»
    «Vier Tage! Viereinhalb! Da, sehen Sie –» Jessie schob mit einem Scharren ihren Stuhl zurück und marschierte zum Kalender. «Er hat mir keine Nachricht dagelassen. Und ein

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