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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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mit Picknicks, Kabrioletts und Bahnfahrten nach London oder Brighton verbracht hatte. Da saß sie und dachte über die Vergangenheit nach, während sich Mrs. Mulchop, die Hände in der Teigschüssel, um die vordergründigen Anforderungen der Gegenwart kümmerte. Jessie stützte ihre Wange auf die Faust und steckte den Löffel in den kalten, inzwischen fest gewordenen Porridge, den ihr Mrs. Mulchop vorgesetzt hatte. Aber Jess bekam den Porridge ebensowenig herunter wie das Ei, das ihr vorher serviert worden war. Er war so fest geworden, daß der Löffel kerzengerade drin stecken blieb. «Er sagt mir immer Bescheid, wenn er wegfährt.» Das hatte sie in verschiedenen Varianten schon dutzendmal verkündet.
    «Na und, diesmal hat er es eben vergessen –»
    Vergessen? Wußte Mrs. Mulchop, was sie da sagte?
    «– er muß doch auch mal ein bißchen Spaß haben dürfen, oder? Gönnst du ihm das nicht, junge Dame? Denk auch mal an ihn, nicht immer nur an dich: ein Vierzigjähriger, der eine Zehnjährige als einzige Gesellschaft hat –» Als sie sah, wie Jessica guckte, wechselte sie schnell den Ton «– natürlich ist er glücklich mit dir. Aber dein Onkel sollte eine nette Ehefrau haben, die sich um ihn kümmert –»
    «Er will keine. Er hat schon eine gehabt.» Jessie war aufgestanden und holte sich einen Overall vom Haken an der Hintertür. «Seitdem ist er ein gebrochener Mann.» Sie begann, sich den Overall anzuziehen.
    «Ein gebrochener Mann? Dein Onkel? Da könnte man ja gleich meinen Mulchop als gebrochen bezeichnen.»
    Mulchop blickte von seiner großen Schüssel auf. Er hatte einen Stiernacken, Bierkutscherarme und ein Gesicht, das so breit und platt war wie der Spaten, mit dem er die Beete bearbeitete. Er machte nur selten den Mund auf und schien es krummzunehmen, wenn andere sich unterhielten. Es war sinnlos, an Mulchop das Wort zu richten.
    «Wo ist der Schraubenschlüssel?» fragte Jessica und schaute seine dichten Brauen an.
    Der Löffel verharrte auf halbem Weg zwischen Schüssel und Mund. «Wehe, du fummelst an den Autos rum, Fräuleinchen!» Mulchop kümmerte sich um die Autos. Jessie und er sahen sich selten, aber wenn, dann stritten sie über Onkel Roberts Autos.
    Während Mrs. Mulchop sich weiter über den beklagenswerten Familienstand von Robert ausließ, holte Jessie den Schraubenschlüssel aus Mr. Mulchops Werkzeugkiste und streckte den beiden hinter deren Rücken die Zunge heraus.
    «Eine nette Frau, ja, die braucht er.»
    Lady Jessica Mary Allan-Ashcroft würde es schon zu verhindern wissen.
     
    Sie lag mit dem Schraubenschlüssel und ein paar Lappen bewaffnet auf einem Rollbrett unter dem Zimmer Golden Spirit. Hier konnte man gut nachdenken. Der Lotus und der Ferrari waren hingegen so tief gebaut, daß sie sich darunter nicht wohl fühlte, es sei denn, sie waren aufgebockt, aber dann kam immer Mulchop an und schlug Krach. Der Zimmer gehörte zu ihren Lieblingsautos, ein umwerfend langes, weißes Kabriolett, für das Onkel Robert mehr als dreißigtausend Pfund gezahlt hatte. Besser gesagt, Jess hatte diese Summe gezahlt. Ganze Heerscharen von Rechtsanwälten mußten sich um die Verwaltung ihres Vermögens kümmern. Aber das meiste gab sowieso Onkel Robert für seine Autos aus.
    Jessie bemerkte einen Bolzen, der etwas lose aussah, und versuchte, ihn festzuschrauben. So war das, wenn jemand einfach abhaute. Alles ging kaputt. Ihr Blick trübte sich. Als sie sich aufsetzen wollte, stieß sie sich den Kopf am Auspuffrohr. Die Autos.
     
    «Woher soll ich das wissen?» sagte die Schauerliche Sharon zu Jess, die mit ölverschmiertem Overall im Salon stand. «Hast du schon wieder an den Autos herumgefummelt?»
    «Sie sind alle da!» schrie Jessica. Und dann betete sie alle neun herunter und zählte sie dabei an den Fingern ab.
    Sharon Plunkett schob die Modezeitschrift beiseite, in der sie gerade gelesen hatte, und stopfte sich die nächste Praline in den Mund. Sharon wußte, daß ihre Tage hier gezählt waren, und es war ihr ziemlich egal, wie die verbleibenden vergingen. Die Pralinenschachtel in Herzform hatte sie wohl von einem Bewunderer aus dem Pub bekommen. Sie verbrachte den Großteil ihrer Freizeit mit den Männern ‹aus dem Pub unten›, wie sie sagte. «Was weiß ich schon von alten Autos?» Und schon umschlossen ihre geschwungenen Lippen eine Schokotrüffel.
    «Wenn er nach London gefahren ist, wie ist er dann hingekommen?»
    «Noch ein Wort, und ich schreie!»
    Jessie sagte, ihretwegen

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