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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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hochfuhr und wieder herunterfiel, und nahm an, daß sie weinte. Sie drehte den Wasserhahn auf, bespritzte sich das Gesicht und zog ein Küchenhandtuch herunter. Dann drehte sie sich wieder um und fuhr fort: «Der Colonel war der einzige, der mich anständig behandelte. Für ihn war ich wenigstens Lily. Und er war auch der einzige, der meine Mutter in Schutz nahm, als –» Sie stockte und wandte den Blick ab. «Dillys haßte mich, aber er hat das nie erfahren. Wir waren nur so häufig zusammen, weil der Colonel uns beide ins Herz geschlossen hatte. Ich glaube, er hätte gerne eine Tochter gehabt. Er ist auch nicht so elitär wie die andern – wie Lady Margaret, Julian, Rolfe. Rolfe, das war auch ein ziemlicher Snob, wenn auch etwas lebenslustiger. Manchmal nahm mich der Colonel mit auf Schmetterlingsjagd. Das fand ich ganz toll.» Sie blickte durch das Fenster auf die Äste, die in der schwachen, winterlichen Sonne ganz golden aussahen.
    Was sie wohl sah? Sommer – dieses riesige Haus mit seinen weiten, samtigen Rasenflächen, dahinter den dunkelblauen Teppich des Meeres und davor das mit Heidekraut bewachsene Moor? Als er ihr lichtumflossenes Profil betrachtete, hatte er das Gefühl, er könne in ihren Kopf schlüpfen, sie über das Gras rennen und das Netz schwingen sehen. «Sie sagten, der Colonel sei der einzige gewesen, der Ihre Mutter verteidigt hat. Vor wem hat er sie denn in Schutz genommen?»
    Lily saß ihm direkt gegenüber. Sie machte einen erschöpften Eindruck. «Vor Lady Margaret. Sie vermißte irgendwelchen Schmuck, ein paar Smaragde oder Diamanten, ich weiß nicht mehr. Und sie behauptete, meine Mutter hätte sie gestohlen. All diese Jahre hatte meine Mutter bei ihnen gearbeitet … Sie fing als Küchenhilfe an. Und plötzlich soll sie auf den Gedanken gekommen sein, etwas zu stehlen ?»Sie blickte weg und wandte ihm wieder ihr Profil zu. Sie hatte sich auf einen der hohen Hocker gesetzt, die Beine übergeschlagen und die Ellbogen mit den Händen umfaßt. Man hätte denken können, sie hätte ihren Körper verlassen und sich in eine Marmorplastik verwandelt.
    «Wegen so was bringt man sich doch nicht um?»
    Langsam drehte sie den Kopf, und Jury bemerkte, daß ihre Bernsteinaugen sich verdunkelt hatten und wie gestern im Schein des Feuers beinahe kornblumenblau wirkten. Ihre Stimme klang ganz ruhig, obwohl sie offensichtlich sehr erregt war. «Sie wissen wohl ganz genau, wegen was man sich umbringt?»
    «Nein. Aber man muß schon sehr, sehr verzweifelt sein. Auf falsche Anschuldigungen – und Sie scheinen sich ja ganz sicher zu sein, daß sie unschuldig war – reagiert man gewöhnlich empört und denkt nicht gleich an Selbstmord. Halten Sie es denn für möglich, daß sie sich deshalb das Leben genommen hat?»
    Ausweichend antwortete sie: «Ich war erst elf Jahre alt, als sie starb.»
    «Ich weiß. Aber halten Sie es für möglich?»
    «Ich weiß nicht.» Ihr Gesicht, ihre Stimme waren völlig ausdruckslos.
    «Was ist dann mit Ihnen geschehen? Nach ihrem Tod?»
    «Ich ging zu meiner Tante Hilda nach Pitlochary. Ich fand es schrecklich. Sie wollte mich auch gar nicht haben, aber sie betrachtete sich als eine gute Christin, und es war sozusagen ihre Pflicht, mich aufzunehmen.»
    «Mich wundert es eigentlich, daß die Craels Sie nicht bei sich aufgenommen haben. Wo der Colonel Sie doch so gern hatte.»
    «Du lieber Himmel, Inspektor. Ich war doch nur das Kind einer Angestellten. So weit ging die Liebe nun auch wieder nicht. Selbst wenn er gewollt hätte, die andern wären bestimmt dagegen gewesen. Julian, Olive Manning, Dillys. Sie hatte ihn um den Finger gewickelt, und sie war nicht einmal sein Fleisch und Blut. Aber er hat sich darum gekümmert, daß genug Geld für mich da war, daß ich anständig angezogen war und daß ich auf eine Schule ging. Er hat meiner Tante bestimmt einiges zugeschoben, sonst hätte sie mich als Kellnerin oder etwas Ähnliches arbeiten lassen, als ich alt genug war.»
    «Als diese Cousine, Gemma Temple, plötzlich im Old House auftauchte, hatten Sie da nicht auch das Gefühl, sie könnte den Colonel ganz einfach um ihren kleinen Finger wickeln?»
    «Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.»
    «Wirklich nicht?»
    Jury war überzeugt, daß sie log.

17
    Die Leihbücherei von Rackmoor war ein langer, enger Schlauch, das Erdgeschoß eines früheren Wohnhauses, das sich von außen kaum von den andern Häusern des Viertels unterschied. Das untere Stockwerk war umgebaut –

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