Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes

Vom Netzwerk:

gehört, die heute morgen im Wald von Horndean gefunden wurde?»
    Sie nickte. «Wie brutal!»
    «Wir versuchen herauszufinden, wer sie war.»
    «Bestimmt eine Fremde. Von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, hat sie keiner je gesehen. Das heißt, nach dem, was die Craigies erzählt haben.»
    «Finden Sie es nicht seltsam, daß eine Ortsfremde im Wald von Horndean spazierengeht?»
    Mord und Verstümmelung, das war ihr Spezialgebiet – sie entspannte sich und legte sogar ihren Cracker auf den Teller zurück. «Vielleicht wurde sie ganz woanders umgebracht und anschließend in den Wald geschleppt.» Sie schob sich die Brille hoch und sah ihn ganz geschäftsmäßig an.
    «Das glauben wir nicht.»
    «Wohin wollte sie denn? Niemand geht dort spazieren, außer den Vogelfreunden.»
    «Vielleicht sollten wir eine Kriminalautorin in unser Team aufnehmen? Zigarette?»
    Würdevoll nahm sie die Zigarette und das Kompliment entgegen; sie lehnte sich zurück, lächelte und schlug die Beine übereinander. Hübsches Lächeln, hübsche Beine, registrierte er. «Hab ich mich auch gefragt. Die ganze Zeit schon.»
    «Erzählen Sie mir, was Sie denken.»
    «Also gut: zuerst mal die Finger.» Sie hielt die eigene Hand hoch und spreizte die Finger. «Warum hackt man jemandem die Finger ab? Wegen der Fingerabdrücke kann es nicht gewesen sein.»
    «Manche halten es für die Tat eines Geistesgestörten.»
    «Nein. Nein.» Die dunklen Löckchen gerieten in Bewegung. «Wenn jemand die Absicht hat, sein Opfer zu zerstückeln, dann begnügt er sich nicht mit fünf mickrigen Fingern.»
    Ihre Betrachtungsweise war erfrischend nüchtern. «Stimmt.»
    «Ein Täuschungsmanöver vielleicht.»
    «Gut möglich.»
    «Damit die Leute denken, er sei ein Geistesgestörter. Es könnte natürlich auch ein Racheakt sein. Symbolische Verstümmelung wie bei der Mafia in Amerika. Als abschreckendes Beispiel für die andern.» Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen, um sich das Bild zu vergegenwärtigen. «Der Wald von Horndean. Am frühen Morgen. Nein, es war Abend, oder? Nebelschwaden; weicher, sumpfiger Boden; die Füße sinken beim Gehen ein. Sumpfvögel. Er wartet – oder sie. Ich könnte mir vorstellen, daß es eine Frau war, warum, weiß ich auch nicht. Das Opfer bleibt stehen, lauscht auf ein Geräusch. Es ist aber nur die Eule. Nebel hüllt die Frau ein. Der Mörder nähert sich von hinten und –» Polly Praed riß die Arme hoch und ließ die imaginäre Mordwaffe heruntersausen: Der Schlag wäre tödlich gewesen, wenn sie wirklich eine Axt in der Hand gehalten hätte. Jury und Barney fuhren zusammen. «Oh, tut mir leid. Wenn ich richtig in Fahrt komme …» Sie seufzte, zog an ihrer Zigarette und wippte mit dem Fuß. «Ich frage mich, ob diese Sache mit den Briefen zusammenhängt –» Sie verstummte plötzlich und schaute ihn an, als hätte sie sich am liebsten in die Zunge gebissen. «Sie haben, äh, Sie haben sie nicht gelesen …?»
    «Doch. Ziemlich albern. Meiner Meinung nach von jemandem, der den Leuten wahllos irgendwelche Sachen anhängt.»
    Das schien sie zu beruhigen. «Na ja, ich hätte gut darauf verzichten können. Ein Erpressungsversuch, was denken Sie?» Gere hatte auch diese Vermutung geäußert. Jury schüttelte den Kopf. «Angenommen, jemand hat herausgefunden, daß Sie etwas auf dem Gewissen haben. Er droht, es publik zu machen.» Sie lehnte sich zu Jury hinüber, so gefesselt von ihrer Story, daß sie ihre Befangenheit vergaß. «In so einem Fall läßt man am besten einen ganzen Schwung Briefe los, in denen man den Leuten alles mögliche unterschiebt. Und wenn derjenige, der es auf einen abgesehen hat, dann mit seiner Enthüllung auftritt, wird ihm niemand glauben.» Sie hatte sich die Brille auf dem Kopf hochgeschoben, und die amethystfarbenen Augen leuchteten. «Gar nicht so dumm, so ein Plan.»
    Er mußte zugeben, daß ihm ihre Augen mehr imponierten als der Plan. «Hmm, ich verstehe.»
    Sie betrachtete ihre Nägel. «Sie sind wohl zu mir gekommen, weil Sie denken, ich hätte sie geschrieben. Wahrscheinlich denken das auch noch einige andere Leute. Da Schreiben nun mal mein Beruf ist.»
    «So phantasieloses Zeug würden Sie nicht schreiben.»
    Das verwirrte sie. Sie fragte noch einmal: «Wie war noch Ihr Name?»
    «Jury. Außerdem, wenn Sie es gewesen wären, dann hätte jeder Bodenheim bestimmt mehrere bekommen.» Er lächelte. «Glauben Sie, einer von ihnen hat sie geschrieben?»
    «Ich glaube kaum, daß die