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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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unter ihrer Tür durchgeschoben wird oder was weiß ich, der kalte Schweiß ausbricht. Ständig fragt sie sich: ‹Wann bin ich dran?› Der Verfasser kann die Leute ewig so zappeln lassen. Verstehen Sie? Wer würde also schon den ganzen Packen auf einmal losschicken? Die geheimen Qualen, die man in der Vorstellung genießt, würden völlig wegfallen.»
    «Sie kennen sich auf diesem Gebiet ja gut aus. Sie haben sie doch nicht etwa geschrieben, oder?»
    Melrose überging diese Bemerkung. «So wie diese Person vorgegangen ist, weiß jeder, wer alles einen Brief bekommen hat, und die Polizei wurde sofort eingeschaltet. Sobald der erste Schock vorbei ist, macht sich bestimmt keiner mehr Gedanken darüber. Und dann noch mit Buntstiften! Wer nimmt das schon ernst. Komisch. Glauben Sie, die Briefe haben mit dem Mord zu tun?»
    «Das hab ich mich auch schon gefragt. Ich schreibe Kriminalromane –»
    «Ach, tatsächlich?»
    «Ja. So toll ist das aber gar nicht. Reine Routine, glauben Sie mir. Es ist nur ziemlich frustrierend, daß mir zu diesem Fall nichts einfällt. Dieser Superintendent von Scotland Yard muß mich für ziemlich dumm halten.» Bekümmert blickte sie auf ihre Muffinhälfte. «Die Sache ist – man kann eine rege Phantasie haben, aber für die Realität nicht taugen. Wie ich zum Beispiel. Ich habe sogar Schwierigkeiten, mich auch nur mit jemandem zu unterhalten, wie Sie bestimmt schon bemerkt haben.»
    «Ich habe nichts dergleichen bemerkt.»
    «Müssen Sie aber. In Gesellschaft bin ich ein absoluter Versager. Ich gehe deshalb auch nicht zu Parties, weil ich da doch nur stocksteif in der Ecke herumstehe und mir krampfhaft überlege, was ich sagen soll.» Kauend beschrieb sie sämtliche Lebenslagen, in denen sie versagte. Dann tat sie alles mit einem Achselzucken ab und fragte: «Darf ich mir den letzten Muffin nehmen?»
    «Ja, nehmen Sie nur. Ich finde das, was Sie eben gesagt haben, völlig absurd. Es klang, als würden Sie eine andere Person beschreiben. Ich meine, Sie haben doch pausenlos geredet, seit wir hier sitzen.»
    «Ach, das ist was anderes.» Sie winkte ab.
    War das ein Kompliment? Oder wollte sie damit sagen, daß sie von derselben Sorte seien – beide Versager?
    Sie schob Teller und Tasse zur Seite und beugte sich zu ihm vor. «Hören Sie, ich weiß, daß Sie nicht nach Littlebourne gekommen sind, um Stonington zu kaufen. Sie müßten ja steinreich sein. Obwohl ich nichts dagegen hätte, wenn Sie es kauften. Die Bodenheims wären am Boden zerstört, wenn jemand sie hier überflügelte. Es gibt nur noch eine Sache, die schlimmer für sie wäre – wenn jemand von Adel dort einzöge.» Hoffnungsvoll blickte Polly ihn an. «Sie sind doch nicht vielleicht adlig?»
    Melrose starrte auf seine Tasse. «Na ja …»
    «Oh, Sie sind es! Sagen Sie, daß Sie es sind!» Ihr Gesicht war ganz nahe an seines herangekommen, so gespannt war sie. Kein unangenehmes Gefühl.
    «Ich bin nicht adlig.» Das Gesicht wich wieder zurück, und er hatte beinahe das Gefühl, sie verraten zu haben. «Aber ich war es mal», fügte er strahlend hinzu.
    «Sie waren es? Was soll das heißen?»
    «Der Earl von Caverness. Und zwölfter Viscount Ardry und so weiter. Aber jetzt bin ich nur noch Melrose Plant.»
    Wer er jetzt war, schien sie nicht weiter zu interessieren. Doch über den Verlust seiner Titel staunte sie mit offenem Mund. «Wie konnte Ihnen denn das passieren?»
    «Oh, ich habe darauf verzichtet.»
    «Warum?» Wütend starrte sie ihn an; offensichtlich fand sie es unverzeihlich, daß er eine Sache, die so nützlich hätte sein können, einfach fallengelassen hatte. Dann wurde ihre Miene wieder etwas freundlicher. «Ah, ich verstehe. Sie hatten Spielschulden oder sonst etwas auf dem Gewissen und wollten den Namen der Familie nicht beflecken.» Ihre Augen glitzerten, sie hatte sich eine Geschichte für ihn ausgedacht. Gleich würde sie ihn in eine Ritterrüstung stecken.
    «Es ist leider nicht so romantisch.» Er fragte sich, warum er das Bedürfnis verspürte, sich ihr gegenüber zu rechtfertigen. Sie verwirrte ihn, und er wußte nicht warum – veilchenblaue Augen hin, veilchenblaue Augen her. Ihre übrige Erscheinung war keineswegs überwältigend; dieser unvorteilhafte Braunton ihres Twinsets, diese wirren Locken, diese ausladende Brille und dieser Bleistift, der irgendwo steckte – all das machte sie nicht gerade attraktiver. «Ich wollte sie einfach nicht mehr», sagte er matt.
    Sie zuckte die Achseln. «Na ja,

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