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Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Titel: Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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sie.
    Morse nickte. «Wir brauchen vermutlich noch eine formelle Aussage von Ihnen.»
    «Muß das sein? Könnten Sie nicht dafür sorgen, daß...»
    «Ich werde sehen, was sich machen läßt.»
    Als sie sich zum Gehen wandte, bemerkte Morse einen braunen Fleck auf der Schulter ihres Mantels.
    «Haben Sie diesen Mantel angehabt, als Sie von der Silvester-Party zurück zur Dependance gegangen sind?» fragte er.
    «Ja.» Sie drehte den Kopf und warf einen schrägen Blick auf die schmuddelige Stelle. «Man kann ja schließlich bei Schnee und minus fünf Grad nicht halb nackt herumlaufen.»
    «Nein, natürlich nicht.»
    «Es ist wirklich ärgerlich! Die Reinigung kostet mich bestimmt mindestens fünf Pfund. Ich finde das rücksichtslos; wenn jemand meint, sich als Farbiger verkleiden und braun schminken zu müssen, dann soll er gefälligst aufpassen, wo er mit seinen Pfoten hinlangt.»
    Ihre Stimme klang plötzlich gewöhnlich. Sie hatte alles an äußeren Attributen, um im wahrsten Sinne des Wortes eine liebenswerte Frau zu sein, und doch fehlte ihr etwas Entscheidendes. Morse war nicht glücklich über diese Entdeckung — er war wieder um eine Illusion ärmer. Ein Mann war grausam und brutal umgebracht worden, ein Mann, der ihr noch wenige Stunden vor seinem Tod (wer weiß, vielleicht in einem Anflug von Zärtlichkeit) den Arm um die Schulter gelegt und dabei mit seiner Hand einen Fleck auf ihren Mantel gemacht hatte. Und das einzige, was sie angesichts dieses Fleckes empfand, war Ärger, weil sie für die Reinigungskosten aufkommen mußte. Sie verabschiedeten sich. Morse versuchte, so gutes ging, seine Enttäuschung hinter jener Maske unverbindlicher Höflichkeit zu verbergen, die zu zeigen er sich gegenüber seinen Mitmenschen schon seit langem angewöhnt hatte. Vielleicht, so dachte er plötzlich, sind die Masken längst die Wirklichkeit und die Gesichter darüber nur noch Prätention. Fast alle Gäste des Haworth hatten an jenem verhängnisvollen Abend ihre wahre Person hinter Kostümen verborgen — ein anderes Kleid und ein anderer Anzug als gewöhnlich, ein anderes Make-up als gewöhnlich, ein anderer Partner als gewöhnlich — ein anderes Leben als gewöhnlich, und der Tote hatte das perfekteste Kostüm von allen getragen.

    Nachdem sie gegangen war, schritt Morse mit weichen Knien auf den Empfang zu (es mußte Lewis sein, der ihn hier zu erreichen versuchte; er war der einzige, der wußte, wo er sich aufhielt), inbrünstig hoffend, daß das Mädchen am Empfang abgelöst sein möge. Doch er hatte Pech. Doppeltes Pech, denn offenbar verfugte sie auch noch über ein ausgesprochen gutes Gedächtnis.
    «Es tut mir leid, Mr. Palmer, es hat bisher noch niemand abgesagt.»
    «O verdammt», murmelte Morse zweideutig.

Kapitel Achtzehn

DONNERSTAG, DEN 2. JANUAR

    Mädchen, welche Brillen tragen, nähern Männer sich mit Zagen.
    frei nach Dorothy Parker

    Mr. John Smith kehrte an diesem Abend früher als erwartet nach Hause zurück und fand seine Frau in Tränen aufgelöst. Sie wollte zunächst nicht sagen, was sie bedrückte, doch schließlich gelang es ihm, sie zu überreden, und dann brach es nur so aus ihr heraus.
    Sie war um 15.45 Uhr in Reading in den Zug gestiegen und um 16.20 Uhr in Oxford angekommen. Ihre Hand in der Tasche des Duffelcoat umklammerte den Schlüssel zu Zimmer Nummer zwei. Sie hatte sonst nichts dabei, keine Tasche, kein Portemonnaie, keinen Schirm — nichts außer der Rückfahrkarte, zwei Ein-Pfund-Münzen und einigen Schillingen. Am Bahnhof überlegte sie, ob sie ein Taxi nehmen sollte, aber sie entschied sich, zu Fuß zu gehen. Die zwanzig Minuten Weg verhalfen ihr zu einem weiteren Aufschub. Je näher sie dem Hotel kam, um so nervöser wurde sie, um so unruhiger klopfte ihr Herz. Sie war genauso aufgeregt wie gestern mittag, als sie sich heimlich aus dem Haus geschlichen, die Beifahrertür des BMW geöffnet und verzweifelt die Polster und den Boden des Wagens abgesucht hatte. Sie hatte überall nachgesehen, doch das einzige, was sie gefunden hatte, waren eine Zwei-Pence-Münze, eine weiße Abführtablette und der Knopf eines Damenmantels gewesen — nicht ihres Mantels...
    Sie streifte die riesigen Schaufenster der Buchhandlung Blackwell in der Hythe Bridge Street nur mit einem flüchtigen Blick, hastete Gloucester Green entlang bis zur Beaumont Street und bog schließlich atemlos in die St. Giles’ Street. Beim Martyrs’ Memorial überquerte sie die belebte Fahrbahn, auf der bereits der

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