Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
einmal bei der Delegacy angerufen und mir Margaret Bowmans Geburtsdatum geben lassen. Sie ist letzten September sechsunddreißig geworden, das bedeutet, ist circa dreiunddreißig.» (Lewis merkte, wie er zunehmend sicherer wurde, und war sehr mit sich zufrieden.) «Und dann ist mir noch eine dritte Sache aufgefallen, Sir», fuhr er fort. « schlägt Margaret vor, ihn um zehn vor eins an der Summertown-Bücherei zu treffen, das ist eine realistische Zeit, denn die Mittagspause bei den Locals beginnt um 12.45 Uhr, und der Weg vom Ewert Place zur South Parade ist, wenn man sich beeilt, in fünf Minuten gerade zu schaffen. Und nun ist mir noch etwas aufgefallen, Sir. Die Mittagspause beträgt sechzig Minuten. Rechnet man davon zehn Minuten ab, fünf Minuten für den Weg hin und fünf Minuten für den Weg zurück, so bleiben immer noch fünfzig Minuten. Unser schreibt aber etwas von vierzig Minuten, die sie Zeit hätten. Ich denke, daß er noch mal jeweils fünf Minuten Fahrzeit abgerechnet hat, die sie brauchen, um zu seiner Wohnung zu kommen. Das läßt vermuten, daß er irgendwo im Westen von Oxford wohnt, zum Beispiel in einer Nebenstraße der Woodstock Road — wenn er in einem der Stadtteile im Osten lebte, gäbe es sonst sicher günstigere Punkte, um sich zu verabreden.»
Morse hatte, während Lewis seine Vermutungen äußerte, ab und zu zustimmend genickt und setzte gerade an, seinen Sergeant zu dessen scharfsinnigen Schlußfolgerungen zu beglückwünschen, als dieser schon wieder weiterredete, und es hatte fast den Anschein, als komme er erst jetzt so richtig in Schwung.
«Wenn wir nun diese neuen Fakten dem hinzufügen, was wir bereits wissen, Sir, dann denke ich, daß wir unseren Mann schon so gut wie ausfindig gemacht haben. Wir wissen erstens, daß er höchstens fünf Autominuten von Summertown entfernt wohnt, und zweitens, daß er circa dreiunddreißig Jahre alt ist. Und wenn es bei uns so etwas wie eine computerisierte Personenkartei gäbe, dann hätten wir ihn schon. Aber ich glaube, es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, hinter seine Identität zu kommen: Wir könnten die Teilnehmerinnen von Margaret Bowmans Abendkurs befragen. Sie ausfindig zu machen, dürfte kein allzu großes Problem sein, und bestimmt hat die eine oder die andere irgend etwas bemerkt, das uns weiterhilft. Mir scheint, es wäre ein sehr sinnvolles Unternehmen; wenn Sie einverstanden sind, kann ich gleich anfangen.»
Morse schwieg eine Weile, dann sagte er: «Ja, ich glaube, das wäre eine Möglichkeit.»
Lewis, der, was die Äußerungen des Chief Inspectors anging, mit einer Art sechstem Sinn ausgestattet war, meinte in Morses Stimme einen Unterton von Beunruhigung vernommen zu haben und fragte besorgt: «Ist irgendwas, Sir?»
«Nein. Nein, was soll denn sein. Ich dachte nur gerade — also es würde mich wirklich interessieren, Lewis, was Sie von dem Brief als ganzem halten. Was für ein Mann ist er Ihrer Meinung nach?»
«Na ja, also das ist nicht so einfach zu sagen. Ich glaube, er ist sehr widersprüchlich. Nach dem, was er ihr schreibt, scheint es ja so, als ob er Margaret tatsächlich liebte, aber gleichzeitig wird er an manchen Stellen sehr unangenehm. Ich glaube, er ist jemand, der unter Umständen rücksichtslos und sogar brutal sein kann. Wenn er Margaret liebt, dann vermutlich auf eine sehr egoistische und besitzergreifende Art und Weise. Ich stelle ihn mir vor als jemanden, der, wenn es darum geht, sie zu behalten, notfalls zum Äußersten bereit wäre.»
Morse nickte. «Ja, das denke ich auch. Und mehr noch. Ich denke, daß wir genug Anhaltspunkte haben, um sagen zu können, daß er das Äußerste tatsächlich getan hat — wenn man Mord als das Äußerste bezeichnen will.»
«Haben Sie eine Vorstellung davon, was wirklich passiert ist?» fragte Lewis.
«Ja, schon — aber ich weiß natürlich nicht, wieweit sie wirklich zutrifft. Unzweifelhaft scheint mir, daß Bowman diesen Brief, der uns jetzt hier vorliegt, eines Tages zufällig entdeckt haben und ihm klar geworden sein muß, daß seine Frau ihn betrog. Die meisten Männer hätten diese Tatsache vermutlich irgendwie hingenommen, auch wenn so etwas natürlich eine riesige Kränkung ist. Aber Bowman hat offenbar anders reagiert. Er liebte und brauchte seine Frau wohl sehr viel mehr, als er selbst vielleicht bis dahin gewußt hatte, und so richteten sich seine Wut und sein Zorn nicht gegen Margaret, sondern gegen den anderen Mann. Ich denke, er
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