Instinkt
wusste sie, dass man einen Geständigen nicht unterbrechen sollte, wenn es aus ihm herausbrach. Deshalb fragte sie lediglich: »Und was geschah dann?«
»Zunächst wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich überlegte, die Polizei zu rufen oder einen Krankenwagen, doch dann geriet ich in Panik. Obwohl ich Roisín nichts hatte antun wollen, befürchtete ich, unter Mordanklage gestellt zu werden. Das ist zwar falsch, aber in diesem Augenblick konnte ich nicht klar denken. Unsere Affäre war ein Geheimnis gewesen, und so dachte ich, vielleicht gehe ich einfach und hoffe das Beste. Doch dann fiel mir ein, dass ich Indizien zurücklassen würde. Deshalb rief ich einen alten Geschäftspartner an, einen Mann, von dem ich annahm, er könne mir in meiner Situation helfen.«
Tina und Grier wechselten Blicke. Tina hatte sich nie allzu viele Illusionen über die Integrität der Politiker gemacht, die das Land regierten, und setzte auch voraus, dass einige von ihnen korrupt waren. Dennoch war sie von diesem Eingeständnis eines hochrangigen Ministers schockiert.
»Und dieser Geschäftspartner? Wie heißt er?«
»Sein Name ist Paul Wise.«
War sie eben nur schockiert gewesen, so machte sie die Erwähnung dieses Namens nun sprachlos. In ihrem Kopf drehte es sich. Der Mann, der so vieles in ihrem Leben zerstört hatte, hatte nun seine Finger auch in dieser Geschichte. Es schien unmöglich und besaß doch eine bittere Logik. Man hatte Wise stets verdächtigt, Kontakte zu den höchsten Kreisen des Establishments zu unterhalten und sich deshalb der Justiz immer wieder entziehen zu können. Aber nun existierte die Chance, ihn endlich zur Strecke zu bringen, und allein der Gedanke daran erfüllte Tina mit wilder Hoffnung.
»Und was sagte Mr. Wise, würde er unternehmen?«, sprang Grier ein und gab Tina die Möglichkeit, sich wieder zu fangen.
»Er sagte, er werde sich um die Sache kümmern. Er sagte mir, ich solle bleiben, wo ich sei, und dass ich in Kürze von jemandem hören würde. Diese Person würde sich als Alpha identifizieren und mir sagen, was ich tun solle. Die folgende halbe Stunde war die längste und schlimmste meines Lebens. Ich musste bei Roisíns Leiche in der Wohnung bleiben und auf den Anruf warten. Ständig fürchtete ich, entdeckt zu werden. Doch schließlich rief jemand an. Dieser Mann, Alpha, stellte mir jede Menge Fragen: die Adresse, welche Zimmer ich betreten hatte, die Sicherheitsvorkehrungen des Gebäudes. Er verhielt sich ausgesprochen ruhig und professionell und regelte alles. Er sagte mir, ich solle Roisíns Wohnung verlassen, den Schlüssel mitnehmen und die Tür abschließen. Den Schlüssel sollte ich unter das rechte Vorderrad des dem Eingang am nächsten stehenden Wagens legen. Den Rest sollte ich ihm überlassen und vergessen, was sich zugetragen hatte.«
Gore seufzte.
»Ich tat alles so, wie er es gesagt hatte. Gott, ich wünschte, ich hätte es nicht getan, aber ich tat es.«
»Sind Sie Alpha je begegnet?«, fragte Tina.
Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, und das wollte ich auch gar nicht. Als Nächstes hörte ich, dass Roisín den Opfern des Night Creepers zugerechnet wurde.«
Plötzlich spürte Tina, wie angespannt sie war. Sie zwang sich, sich zurückzulehnen, ließ kurz die Schultern kreisen und unterdrückte den Wunsch nach einer Zigarette.
»In Ihrer Funktion als Innenminister hatten Sie doch Einblick in die Akte des Night Creepers. Sie hätten also leicht seinen Modus Operandi herausfinden können. Behaupten Sie, Alpha nicht erklärt zu haben, was er tun musste, damit man Roisín für eines dieser Opfer hielt?«
»Äh, ja. Sie müssen mir glauben. Mit den … den Verstümmelungen, die Alpha ihr vielleicht zugefügt hat, habe ich nichts zu tun.«
Wieder tauschten Tina und Grier Blicke aus. Grier wirkte skeptisch, Tina ebenfalls. Wenn Gore die Wahrheit sagte, hieß das, Alpha hatte Insiderwissen von den polizeilichen Ermittlungen, was schlicht unmöglich schien. Gore mochte versuchen, sich im günstigsten Licht erscheinen zu lassen, aber das entsprach nicht dem wahren Verlauf der Dinge. Doch das musste eine Jury entscheiden.
»Wann haben Sie herausgefunden, dass man Sie gefilmt hat?«, fragte Tina.
»Als ich zwei Wochen später in meinem Wahlkreisbüro einen Anruf erhielt. Der Anrufer nannte sich meiner Sekretärin gegenüber Mr. Roisín, deswegen habe ich den Anruf entgegengenommen. Mir war klar, dass er etwas mit den Geschehnissen jener Nacht zu tun haben musste, und ich
Weitere Kostenlose Bücher