Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
Vom Netzwerk:
selbst weggeschlossen hätte, wenn sie an all das Leid dachte, das ihr und den Menschen, die ihr nahegestanden hatten, zugestoßen war. Manchmal wollte sie einfach die Augen schließen und nie wieder aufwachen.
    Und dann gab es die Momente, in denen eine rasende Mordlust sie dazu trieb, die Wand ihres Schlafzimmers zu malträtieren, Geschirr zu zerschlagen und lauthals zu brüllen, weil sie sich vorstellte, einen Gangster fertigzumachen oder den Mann zu quälen, den sie für die vernichtenden Schicksalsschläge verantwortlich machte: einen nicht übermäßig großen, schnell kahl werdenden Geschäftsmann namens Paul Wise. Den Mann, den sie um jeden Preis zur Strecke bringen wollte – töten, wenn sie ehrlich zu sich selbst war –, gegen den vorzugehen aber ganz außerhalb ihrer Möglichkeiten stand.
    Tina spürte, dass sie langsam die Kontrolle über sich verlor. Die Nachbarn, die sie früher freundlich gegrüßt hatten, mieden sie inzwischen, und einer – sie wusste nicht welcher – hatte einmal sogar die Polizei alarmiert, nachdem ein in Rotwein und Tequila ertränkter Abend dazu geführt hatte, dass sie methodisch jeden einzelnen Spiegel ihrer Wohnung zertrümmerte. Der im Flur hatte unvorhergesehene Probleme bereitet und letztlich zu dem Polizeieinsatz geführt. Es handelte sich um einen über einen Meter hohen und siebzig Zentimeter breiten, in einen massiven Kiefernholzrahmen eingelassenen Kristallspiegel von Ikea, den sie mit einem Stuhl zerschmettert hatte. Er war mit einem solchen Knall geborsten, dass sie vor Schreck zurücksprang, stolperte und gegen ihr Bücherregal fiel. Verwirrt, aber irgendwie befriedigt hatte sie unter dem Regal gelegen, während ein halbes Dutzend Taschenbücher und ein alter Wälzer von Jackie Collins, den sie als Teenager gelesen hatte, nacheinander auf ihren Kopf purzelten. Am Ende war es ihr jedoch gelungen, die beiden uniformierten Beamten davon zu überzeugen, dass es sich lediglich um ein Missgeschick gehandelt hatte, und da die beiden sie erkannt hatten, ließen sie es bei einer freundlichen Ermahnung bewenden.
    Danach hatte sie mit dem Trinken aufgehört (für ein paar Wochen zumindest), aber ihre Stimmungsschwankungen hatten sich dadurch nicht gebessert. Mehr als einmal war sie versucht gewesen, sich im Dienst einem Psychiater anzuvertrauen oder sich wenigstens wegen eines Burnouts krankschreiben zu lassen, hatte sich aber jedesmal dagegen entschieden. Der Job war das Einzige, das ihrem Leben den Anschein von Stabilität gab, und trotz allem war sie nach wie vor verdammt gut darin.
    Doch nun hatte sie sich richtig in den Schlamassel geritten, weil sie nicht nur ihr Leben fahrlässig aufs Spiel gesetzt hatte, womit sie hätte umgehen können, sondern auch das ihres Kollegen. Er hatte seither kaum ein Wort mit ihr gewechselt, und sie verstand auch warum. Ihr Verhalten war unkontrolliert und disziplinlos, und solchen Leuten ging man am besten aus dem Weg, besonders, wenn man seine Personalakte sauber halten wollte.
    Plötzlich entdeckte sie DCI MacLeod, der aus einem der Polizeitransporter kletterte. Er wirkte blass und angespannt, doch das konnte sie ihm kaum zum Vorwurf machen. Was als fröhlicher Abend im Pub begonnen hatte, als Feier des erfolgreichen Abschlusses einer langwierigen Ermittlung, hatte sich in eine blutige Tragödie verwandelt, bei der der Verdächtige, den sie unter großem personellen Aufwand zur Strecke gebracht hatten, anscheinend einfach verschwunden war.
    Jetzt kreisten die Helikopter der Fernsehsender über ihnen, und am Boden stritten sich die Kamerateams mit den Schaulustigen um die besten Plätze an der Polizeiabsperrung.
    MacLeod sah sie ebenfalls, kam zu ihr herüber und fragte sie, ob sie okay sei.
    »Ging mir schon mal besser«, erwiderte sie und drückte ihre Zigarette aus. Sie bemühte sich, cool und gelassen zu wirken, aber in Wirklichkeit war sie mit den Nerven fertig. Was vorhin passiert war, rief zu viele Erinnerungen an frühere Katastrophen wach.
    Er sah sie an wie ein Vater eine Tochter, die sich danebenbenommen hat. Freundlich und teilnahmsvoll, aber mit mehr als einer Spur Besorgnis, die sich in seinen Stirnfalten offenbarte. »Eines Tages wird Sie Ihr Glück verlassen, und das wissen Sie auch. Passen Sie auf sich auf, Tina.«
    Seine Worte brachten eine Saite in ihr zum Klingen, aber wie üblich ließ sie sich nichts anmerken. »Ich hatte keine Wahl. Ich musste dem Wagen folgen. Ich konnte Kent nicht entkommen lassen, ohne

Weitere Kostenlose Bücher