Intimer Betrug
meisten Frauen betrachten das Kinderkriegen nicht als Risiko. Sie halten Kinder für einen Segen. Du etwa nicht?«
Sein Blick wurde hart, seine Miene gequält. »Nein. Vielleicht früher einmal. Bevor ich wusste, was auf dem Spiel steht.«
Sie wusste, dass sie das Thema fallen lassen sollte, aber das konnte sie nicht. »Nicht alle Frauen sterben im Kindbett.«
Sein Gesicht wurde trotz des warmen englischen Sonnenscheins ganz bleich und er zuckte zusammen, als hätte sie einen Frevel begangen. »Nein, nicht alle. Aber schon eine ist zu viel.« Er zögerte, als wollte er noch mehr dazu sagen, überlegte es sich aber anders und fügte hinzu: »Sobald wir in London sind, schicke ich nach meinem Arzt.«
»Das ist nicht notwendig. Mir geht es gut. Außerdem kommen morgen meine Schwestern. Dann werde ich mehr bemuttert als dir oder mir lieb ist.«
»Dennoch finde ich …«
»Vincent, bitte«, sagte sie energischer als beabsichtigt. Sie schloss die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und versuchte ihren Magen zur Ruhe zu zwingen. »Warte wenigstens noch, bis wir verheiratet sind. Bitte. Es besteht kein Anlass, jemandenaußerhalb der Familie zu informieren, bevor wir unsere Ehegelübde überhaupt abgelegt haben.«
Er nickte höflich, sodass sie wieder einmal den heftigen Wunsch verspürte, dieser Albtraum möge endlich vorbei sein. Den Wunsch, am nächsten Morgen aufzuwachen und festzustellen, dass die bevorstehende Mutterschaft doch nur ein Irrtum gewesen war. Dass sie nur ein einziges Mal, wenn sie ihn ansah, keine Reue in seinen Augen sehen würde.
»Wie du willst.«
Sie atmete erleichtert auf. »Danke. Vincent, was willst du wegen … Fentington unternehmen?«
»Ich regele das, Grace. Du hast nichts mehr von ihm zu befürchten.«
»Um mich habe ich keine Angst. Aber um dich. Der Mann handelt nicht rational. Er ist nicht ganz bei Verstand.«
»Das spielt keine Rolle. Was geschehen ist, ist geschehen, und ich kümmere mich darum.«
Grace wusste, dass das Thema damit erledigt war. Sie lehnte sich in den Sitz zurück und betete, dass Vincent nichts geschehen möge. Die Mordanschläge waren ihre Schuld gewesen. Im Grunde war sie diejenige, die Fentington bestrafen wollte. Vincent war nur das unschuldige Opfer, das Grace Fentingtons Meinung nach mit ihrer Sündhaftigkeit korrumpiert hatte.
Die Kutsche rollte mit Herman auf dem Bock über die schmale Straße. Sie mussten schon fast die Hälfte des Weges hinter sich gebracht haben. Grace wäre froh, wenn sie endlich zu Hause wären. Egal, wie oft sie tief durchzuatmen versuchte, wie Maudie sie angewiesen hatte, ihr Magen rebellierte trotzdem.
»Wir kommen jetzt an die Waverly-Kreuzung, Euer Gnaden«, rief Herman von oben. »Soll ich anhalten, damit Sie und Mylady sich die Beine vertreten können?«
Nach einem besorgten Blick auf sie antwortete Vincent: »Ja, Herman.«
Grace atmete erleichtert auf, als Herman die Kutsche anhielt und Vincent ihr beim Aussteigen half. Als ihre Füße auf denunbefestigten Weg traten, reichte er ihr den Arm und sie spazierten gemächlich die Straße entlang. Herman folgte ihnen in diskretem Abstand mit der Kutsche.
»Sag Bescheid, wenn du müde wirst«, verlangte Vincent, der sie dicht an sich gezogen hatte, damit sie nicht stolperte.
»Wahrscheinlich erst, wenn wir in London sind«, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab. »Ich gebe keine gute Prinzessin auf der Erbse ab. Ich bin nicht der Typ, der immer nur zu Hause sitzt und stickt.«
»Nur, wenn du Klavier spielst.«
»Ja. Nur, wenn ich spiele. Das ist meine einzige echte Leidenschaft.«
»Dann wird dir das Musikzimmer auf Raeborn gefallen. Das Klavier dort ist eines der besten, die man kriegen kann.«
»Fahren wir dort nach der Hochzeit hin?«
»Irgendwann sicher. Aber wir werden so lange wie möglich in London bleiben.«
Er musste ihr Zögern bemerkt haben, denn er hielt inne und blickte zu ihr hinunter. »Ich habe die Veröffentlichung unserer Hochzeitsanzeige in der morgigen Frühausgabe der
Times
veranlasst. Sie wird sicher großes Aufsehen erregen, doch in der feinen Gesellschaft ist es üblich, dem Brautpaar eine zweiwöchige Schonfrist zu gewähren, bevor Besucher kommen, sodass wir den Großteil des Klatsches gar nicht mitbekommen sollten. Und wir werden zumindest diese Zeit für uns haben, um uns an die Ehe zu gewöhnen.«
Er legte die Hand unter ihren Ellbogen und sie liefen weiter. »Wenn die zwei Wochen um sind, werden wir uns einer deiner Schwestern
Weitere Kostenlose Bücher