Intimer Betrug
Atmosphäre. Und Carolines Feindseligkeit richtete sich gegen Vincent. Er hätte blind sein müssen, um ihre bösen Blicke nicht zu bemerken.
Natürlich ging Linny davon aus, dass Vincent sich an ihr vergangen hatte. Alle ihre Schwestern nahmen das an, da sie glaubten, dass Grace nach dreißig Jahren Tugendhaftigkeit ihren Körper niemals aus freiem Willen einem Mann geschenkt hätte, den sie kaum kannte.
Wenn sie die Wahrheit erführen, wären sie schrecklich enttäuscht von ihr.
Am liebsten hätte Grace sich in eine Ecke verkrochen. Wie konnte sie von irgendjemandem Verständnis erwarten? Und doch konnte sie ihre Schwestern nicht in dem Glauben lassen, dass Vincent etwas Unehrenhaftes getan hatte.
Sie vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte die Tränen zurückzuhalten, was ihr nur bedingt gelang. Als es leise an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen und wischte sich hastig ein paar Tränen von den Wangen, die doch entkommen waren. »Herein.«
Die Tür öffnete sich und sie sah Caroline auf der Schwelle, der alle unbeantworteten Fragen ins Gesicht geschrieben standen. Am schwersten zu ertragen war jedoch der Ausdruck in ihren Augen – das Mitleid und die Sorge darin.
Da keine der beiden Schwestern wusste, wie sie beginnen sollte, starrten sie sich an. Grace versuchte es als Erste. »Linny, ich … ich …«
Sie konnte den Satz nicht beenden. Konnte sich nicht dazu überwinden, ihr zu gestehen, was sie getan hatte. Wie konnte sie von Caroline Verständnis erwarten? »Ich bin … ich bin …«
Sie brachte es nicht über sich. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um ein gequältes Stöhnen zu unterdrücken. Wie verzweifelt sie sich auch wünschte, die Tränen zurückzuhalten, sie vermochte es nicht mehr und sie flossen ihr unaufhaltsam über die Wangen.
Noch bevor sie Luft holen konnte, hatte Caroline sie in die Arme genommen.
»Alles ist gut, Grace. Alles wird wieder gut.«
»Nein, wird es nicht. Dafür ist es zu spät.«
Caroline umarmte Grace erneut und führte sie zum Sofa. Sie setzten sich und Caroline drückte Grace ein Taschentuch in die zitternden Hände.
»Jetzt verstehe ich, warum du so gezögert hast, Umgang mit Raeborn zu pflegen. Warum du in letzter Zeit so durcheinander warst. Warum hast du mir nicht gesagt, was er dir angetan hat?«
»Ach, Caroline. Er hat überhaupt nichts getan.«
Caroline ballte die Hände zu Fäusten und schlug sich wütend auf den Oberschenkel. »Oh, das hat er sehr wohl. Er hat mir gesagt, dass du ein Kind von ihm erwartest. Da wusste ich sofort, dass er dich verführt hat.« Linny riss erschrocken die Augen auf. »Hat er dich gezwungen, Grace?«
Grace ergriff Carolines Hände und schüttelte den Kopf. »Nein, Caroline. Du verstehst nicht. Vincent trifft keinerlei Schuld, sondern mich. Ich habe ihn benutzt. Es ist meine Schuld, nicht seine.«
»Versuch nicht, ihn zu schützen, Grace. Es ist offenkundig, was für ein Mann er ist, auch wenn ich es ihm nie zugetraut hätte. Ich habe ihn immer für einen Gentleman gehalten, für ehrenhaft, einen Mann von Charakter.«
»Das ist er auch. Er ist das alles und noch mehr. Es war meine Schuld. Ich habe ihn gezwungen.«
»Es hat keinen Sinn, Grace. Wir wissen es alle besser.«
Erneut strömten Grace Tränen über die Wangen, begleitet von lauten, schmerzlichen Schluchzern. »Ich bin schuld!«, rief sie, am ganzen Körper zitternd. »Ich habe ihn getäuscht!«
Caroline starrte Grace an, als müsse sie abwägen, ob sie ihr glauben sollte. »Was meinst du damit?«
»Baron Fentington hat um Annes Hand angehalten wie um jede andere von euch zuvor. Vater hat sein Angebot angenommen. Die einzige Möglichkeit, sie zu retten, war, selbst in eine Heirat mit Fentington einzuwilligen.« Grace schluckte. »Zuerst wollte er mich nicht, weil ich schon so alt bin, aber ich habe ihn davon überzeugt, dass ich ihm eine perfekte Ehefrau sein würde.«
»Ach, Grace! Warum bist du nicht zu mir gekommen? Wir hätten etwas unternommen.«
Grace holte zitternd Luft und benutzte ihr Taschentuch. »Ich hatte einen Plan. Ich wusste, dass Fentington nur eine Braut akzeptieren würde, die noch Jungfrau war. Aber er wollte meine Garantie dafür.«
»Was für eine Garantie?«
»Bevor er auch nur ein Pfund der Summe, die Vater für mich verlangt hat, aushändigen wollte, sollte ich ein Dokument unterschreiben und beschwören, dass ich noch Jungfrau bin.« Sie zögerte. »Ich wusste, dass er mich niemals heiraten würde, wenn er
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