Intimer Betrug
ließ. Nicht noch einmal.
Er hielt sich die Ohren zu, um ihre Schmerzensschreie nicht hören zu müssen. Die Schuldgefühle waren zu schwer zu ertragen, die Reue fraß ihn auf. Er rang nach Luft. Nein! Nicht noch einmal! Er würde nicht zulassen, dass auch sie starb.
Er rannte durch den Korridor und riss die Tür auf. Sein Blick schoss zur anderen Seite des Raumes, wo sie im Bett lag, das Gesicht schmerzverzerrt und leichenblass. Ihr schweißnasses Haarklebte ihr am Kopf und bevor er sie erreichte, bäumte sich ihr zerbrechlicher Körper auf, während eine weitere Wehe sie packte.
Mit zitternden Händen umfing er ihre Finger, in der Hoffnung, sie festhalten und beschützen zu können. Doch er wusste, dass es zu spät war.
Der Tod hielt sie bereits in seinen Fängen, entzog sie schon seinem Griff. Die Angst, die seinen Körper überschwemmte, war so vollkommen, dass er keine Luft mehr bekam. Sie lag im Sterben und er konnte sie nicht retten. Und ohne sie wollte er nicht weiterleben.
Er warf den Kopf in den Nacken und schrie so laut er konnte.
»Grace!«
Vincent warf die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sein schweißnasser Körper fühlte sich so glühend heiß an, dass er bezweifelte, dass er je wieder abkühlen würde. Er rannte ans offene Fenster und ließ sich von der nächtlichen Märzluft umwehen.
Der Mond war voll und stand direkt über ihm, woraus er schloss, dass es nach Mitternacht war, vielleicht ein oder zwei Uhr morgens. Er hätte schwören können, diesen Albtraum mindestens zehn Stunden lang durchlebt zu haben.
Sein Herz raste und seine Knie waren so schwach, dass sie unter ihm nachgaben. Er stützte sich an beiden Seiten des Fensters ab, ließ den Kopf zwischen den ausgestreckten Armen hängen und schnappte nach Luft.
Verdammt! Zur Hölle mit ihr!
Er schaffte das nicht. Er konnte nicht in den nächsten sieben Monaten jeden Tag mit ihr verbringen, sie besser kennenlernen, Zuneigung zu ihr entwickeln. Sie lieben lernen. Zusehen, wie ihr Bauch sich mit seinem Kind immer weiter rundete, mit dem Erben, den er sich so sehr wünschte. Und sie dann in seinen Armen sterben sehen, und das Baby mit ihr. Das würde er nicht schaffen. Er war nicht stark genug, um das noch einmal durchzustehen.
Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und kämpfte gegen die Furcht an, die über ihm zusammenschlug wie eine Flutwelle in einem wütenden Sturm. Er kniff die Augen zu, öffnete sie wieder und betete, dass dieser Albtraum endlich ein Ende hätte.
In der Ferne regte sich etwas. Jemand. Sein Herz begann, heftig zu schlagen, wurde immer schneller, bis er befürchtete, dass es ihm aus der Brust springen würde.
Unter seinem Fenster lief ein Mann. Die hagere Gestalt hielt sich tief gebückt, immer im Schatten, während sie von der Vorderseite des Gutshauses die lange Zufahrt hinab zur Straße rannte. Der Mann trug einen langen, dunklen Mantel über weißer Hose und Jacke sowie einen breiten Hut, der seine Gesichtszüge größtenteils verbarg. Bevor er die Straße erreichte, drehte er sich noch einmal um und sah zurück. Dann bestieg er sein weißes Pferd und ritt davon.
Vincent kannte nur einen Mann mit einer solchen Vorliebe für Weiß. Einen Mann, dessen Drohungen Schaden anrichten konnten.
Hastig schlüpfte er in Hose und Stiefel und rannte zur Tür hinaus.
Während er über den Gang zur Treppe lief, ignorierte er den stechenden Schmerz in seiner Seite und streifte sich sein weites Hemd über die Schultern. Auf der Treppe erstarrte er auf halbem Wege, als ihm ein schwacher Rauchgeruch in die Nase stieg. Er blickte zum Eingang und sah durch die Fenster rechts und links der Tür Flammen an der Fassade des Hauses züngeln. Er machte kehrt und stürmte die Treppe wieder hinauf.
»Grace!«
Er riss die Tür zu ihrem Zimmer auf und rannte hinein. »Wach auf, Grace.«
Sie riss die Augen auf und schüttelte den Kopf, um wach zu werden. »Vincent? Was ist los?«
»Es brennt«, rief er und schob ihr die Pantoffeln an die Füße. »Hier, zieh das an.« Er reichte ihr den Morgenrock, der überdem Fußende lag, griff nach einer Decke und warf sie ihr um die Schultern. »Schnell. Komm mit.«
Er schlang den Arm um ihre Taille und zog sie zur Treppe, ließ sie nicht los, während sie die Treppe hinab nach unten eilten. Dichter Rauch zog unter der Haustür hindurch, brannte ihm in der Nase. »Geh zum Hintereingang. Vorne kommen wir nicht raus.«
Er schob sie in die richtige Richtung. Als sie den hinteren Teil
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