Intimer Betrug
versteckt.«
»Und konnte sie das?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie sagt, sie hat seit dem Tag vor fünfzehn Jahren, als sie von zu Hause weggegangen ist, nichts mehr von ihm gesehen oder gehört.«
Grace spürte, wie sich Vincents Arm um ihre Schulter anspannte.
»Ich glaube, dieser Parker, den Germaine mir geschickt hat, hat recht. Fentington hat das Land verlassen und hält sich momentan gar nicht in England auf«, fuhr er fort.
»Dann kommt er vielleicht nie wieder«, bemerkte sie hoffnungsvoll.
»Vielleicht.«
»Aber das glaubst du nicht.«
»Seine Heimat ist hier. Ich bezweifle, dass er lange fortbleibt.«
Er nahm sie tröstend in die Arme, doch Grace spürte, dass er in Gedanken weit weg war. »Wie geht es ihr?«, fragte Grace schließlich, um ihn in die Gegenwart zurückzuholen.
»Hannah?«
»Ja.«
»Sie hat nach dir gefragt und gesagt, dass sie dich vermisst. Dass ihr euch jahrelang immer getroffen habt, wenn du nach London kamst, aber dass sie dich nicht mehr gesehen hat, seit du in jener Nacht …«
Grace blickte lächelnd zu ihm auf. »Das kommt mir vor wie ein anderes Leben. Zu ihr zu gehen war das Mutigste, was ich je getan habe. Und dass sie mir dich geschickt hat, war das Wunderbarste, das mir jemals passiert ist. Ich habe mein Glück Hannah zu verdanken.«
Er streichelte ihr mit den Fingerrücken die Wange. »Möchtest du sie sehen?«
Grace richtete sich abrupt auf. »Ach, Vincent. Ja. Ginge das?«
»Das ließe sich arrangieren.«
»Wann?«
»Jetzt gleich.«
»Jetzt gleich?«
»Fühlst du dich einer Spazierfahrt durch den Park gewachsen?«
»Und ob.« Sie erhob sich so graziös, wie es ihr schwerfälliger Körper zuließ. Auch Vincent stand auf.
»Genevieve hat mir gesagt, ihr hattet eine spezielle Vereinbarung.«
»Ja.«
»Dann erklärst du es mir vielleicht auf dem Weg dorthin. Ich habe ihr gesagt, wir treffen sie um vier Uhr am selben Ort wie immer.« Er griff in seine Westentasche und zog seine Uhr heraus. »Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.«
Grace griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich. Sie war aufgeregt wie ein Schulmädchen und konnte es nicht erwarten,dem Menschen zu danken, der ihr Vincent geschenkt hatte. Worte reichten da nicht aus.
Vincent beobachtete, wie Grace unruhig auf ihrem Platz herumrutschte, während sie zum hundertsten Mal, seit sie Raeborn House verlassen hatten, aus dem Fenster spähte. Am liebsten hätte er laut gelacht. Grace war so ungeduldig, dass sie kaum stillsitzen konnte.
»Wir sind fast da!« Ihre Stimme klang aufgeregt. »Sag Barnabas, dass er anhalten soll, wenn er unter dieser überdachten Brücke hindurchfährt«, wies sie ihn an und deutete mit einem zitterndem Finger aus dem Fenster.
Vincent schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass du im Dunkeln unter einer Brücke anhalten und jemandem die Tür öffnen willst.«
Seine Angetraute blickte ihn an, als hätte er die dümmste Bemerkung auf der Welt gemacht.
»Hannah wollte sichergehen, dass uns niemand zusammen sieht. Sie wollte meinen guten Ruf nicht aufs Spiel setzen.«
»Du hast das doch gewiss nicht gemacht, wenn du allein in der Kutsche warst? Wie konntest du sicher sein, dass es Hannah war, die bei dir einsteigt, und nicht irgendwelches Gesindel, das sich im Dunkeln unter der Brücke herumtreibt?«
»Weil Hannah der einzige Mensch ist, dem ich eine Nachricht geschickt habe, in der ich meine Ankunftszeit ankündige. Und jetzt sei still, damit ich meinen Besuch genießen kann.«
Vincent lachte. Dann nahm er ihr Gesicht in die Hände und berührte ihre Lippen mit seinen, küsste sie gründlich und innig, doch sie schob ihn mit einem tiefen Seufzer von sich.
»Vincent …«
Er lachte. »Ich wollte nur ein wenig Farbe in deine Wangen zaubern, bevor Hannah dich sieht.«
»Du hast mehr getan, als nur Farbe in meine Wangen gezaubert, du Scheusal. Jetzt hör auf, mich zu belästigen, bis wir wieder zu Hause sind.«
»Wie Sie wünschen«, sagte er und lachte leise.
Er konnte es nicht erwarten, Hannah und Grace zusammen zu erleben. Auch wenn er sich keine unterschiedlicheren Freundinnen vorstellen konnte, so wusste er doch, wie nahe die beiden sich standen.
Grace brauchte eine Ablenkung, eine Freundin, mit der sie reden konnte. Seit endlosen Wochen hatte er sie zu Hause eingesperrt, während er Fentington suchte, und sie nur gelegentlich zu einem Abendessen bei einer ihrer Schwestern ausgeführt. Oder aber eine oder mehrere ihrer Schwestern waren zu ihnen zum
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