Intimer Betrug
Dinner gekommen. Und Grace gefiel es so gar nicht, ans Haus gefesselt zu sein.
Sie war nicht wie Angeline oder Lorraine, die sich von dem Moment an, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhren, zurückgezogen hatten, die meiste Zeit im Bett verbracht, sich ausgeruht und die Tage verschlafen hatten. Grace war nicht zufrieden damit, sich dem Müßiggang hinzugeben, sondern beschäftigte sich immer, arbeitete im Garten oder übte am Klavier ein neues Stück eines ihrer Lieblingskomponisten.
Jeden Tag unternahmen sie zusammen ausgedehnte Spaziergänge auf den vielen Wegen durch den parkähnlichen Garten. Er hätte schwören können, dass sie nie ermüdete. Dass eher er als sie nicht mehr weiter könnte.
Doch die besonderen Gelegenheiten, zu denen er sie zu einer Ausfahrt mitnahm, genoss sie am meisten. Sie hielt sich für ihr Leben gern im Freien auf und liebte die frische Luft und den Sonnenschein. Hätte die Geburt von Carolines Baby nicht unmittelbar bevorgestanden, wäre er mit ihr aufs Land gezogen. Aber er wusste, dass es sich dort für ihn noch schwieriger gestalten würde, auf sie aufzupassen. Sie würde dort ständig draußen sein und er müsste dauernd nach ihr suchen.
»Hier. Halten Sie hier, Barnabas.« Sie spähte angestrengt aus dem Fenster, als ihre Kutsche unter die Brücke fuhr.
Die Kutsche blieb stehen. Vincent öffnete die Tür und stieg aus.
Sobald die Kutsche gehalten hatte, trat Genevieve vor und kletterte hinein. Mit einem Freudenschrei fielen sie und Grace einander in die Arme.
Vincent wies Barnabas an, in gemächlichem Tempo ein paar Runden durch den Park zu drehen, stieg wieder in die Kutsche und nahm den beiden Frauen gegenüber Platz, die sich immer noch herzlich umarmten.
Erst als die Kutsche losfuhr, konnte er Genevieve richtig in Augenschein nehmen. Der Unterschied zwischen der Genevieve, an deren Anblick er gewöhnt war, und der Hannah, die er jetzt vor sich hatte, verblüffte ihn.
Ihre Frisur war regelrecht bieder, ihr Kleid von einem unansehnlichen Braun. Ihre ganze Aufmachung war sehr einfach und nichtssagend, als wollte sie um keinen Preis auffallen. Sie war noch nicht einmal geschminkt. Verschwunden war der berückende Glanz und das unwiderstehliche Äußere, die Madame Genevieve zu einer der verführerischsten Frauen in ganz England machten. An ihre Stelle war die unscheinbare Miss Hannah Bartlett, Tochter von Baron Fentington, getreten.
»Ich glaube, ich habe deinen Mann schockiert«, bemerkte Hannah.
Grace lachte. »Ja, ich glaube auch. Das ist das erste Mal, seit ich ihn kenne, dass er um Worte verlegen ist.«
Jetzt lachten sie alle. Dann wandte sich Hannah wieder Grace zu und legte ihr die Hand auf den Bauch. »Ich wusste es. Ich freue mich sehr für dich. Und für Sie auch, Euer Gnaden«, sagte sie und sah Vincent an.
Er schluckte heftig. Neben Grace war Genevieve wahrscheinlich der einzige Mensch, der wirklich verstand, welch panische Angst er davor hatte, dass noch eine Ehefrau von ihm eine Geburt durchmachen musste.
»Jetzt erzähl mir, wie es dir ergangen ist«, bat sie und griff nach Graces Hand. »Gibt Raeborn den perfekten Ehemann ab? Ich hab ihn ganz speziell für dich ausgesucht, Grace. Ich erwarte von ihm nichts anderes als Mustergültigkeit.«
Grace lachte unter Tränen und umarmte ihre Freundin. »O ja. Das ist er. Wirklich mustergültig, bis auf seine Herrschsucht und seinen Eigensinn.«
»Na, na, Weib. Nur dass du es weißt, das lasse ich nicht auf mir sitzen. Ich habe Hannah bereits versichert, dass ich der ideale Ehemann bin. Das hast du mir schließlich selbst gesagt.«
»Wie ich sehe, war es ein schwerer Fehler, ihn zu loben.« Grace lachte und Vincent lehnte sich in die dicke Polsterung zurück, während Grace und Hannah sich fröhlich und ohne Punkt und Komma über Graces Schwestern und deren Familien und über das Baby und Graces Gewissheit, dass es ein Junge würde, unterhielten.
Nachdem sie fast eine Stunde durch den Park gefahren waren, gab Hannah Vincent mit einem Nicken zu verstehen, dass es an der Zeit sei, sie wieder abzusetzen.
»Zurück zur Brücke, Barnabas«, befahl Vincent, worauf die Kutsche prompt wendete.
»Ich habe über Ihre Frage nachgedacht«, sagte Hannah, als sie langsamer wurden. »Nach meinem Vater. Ich erinnere mich, dass er eine Schwester erwähnt hat, die in Frankreich lebt.«
»Wissen Sie, wo?«
»In Paris, glaube ich. Ich habe sie nie kennengelernt.«
»Wissen Sie, wie sie heißt?«
Hannah schüttelte den
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