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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Schrittes aus dem Raum. Ich warte darauf, dass Pellieux hinter mir herbrüllt, dass ich mich gefälligst wieder setzen solle. Aber er sagt nichts. Vielleicht ist er zu überrascht, oder er glaubt, dass ohnehin alles gesagt ist, und ist jetzt froh, mich von hinten zu sehen. Ich weiß es nicht, und in diesem Augenblick ist es mir auch völlig einerlei. Ich hole meinen Koffer aus dem Vorzimmer und gehe die Treppe hinunter. Die wenigen Offiziere, denen ich begegne, schauen mich von der Seite an. Keiner versucht mich aufzuhalten. Ich trete durch das kathedralenartige Portal hinaus auf die Place Vendôme. Mein Abgang kommt so überraschend, dass die meisten Journalisten mich erst bemerken, als ich schon fast um die nächste Ecke gebogen bin. Erst dann machen sie sich auf, mich zu verfolgen. Ich höre sie rufen – »Da läuft er!« – und dann ihre Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Als sie mich einholen, senke ich den Kopf und gehe schneller. Ein paar laufen an mir vorbei und versuchen, mir den Weg zu versperren, aber ich stoße sie zur Seite. In der Rue de Rivoli winke ich eine Droschke heran und steige hastig ein. Die Reporter halten Ausschau nach anderen Droschken. Ein sportlicher Bursche versucht sogar, mir zu Fuß zu folgen. Aber dann lässt der Kutscher die Peitsche knallen, und als ich mich umschaue, hat der Verfolger die Jagd schon aufgegeben.
    •
    Die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Rue Yvon-Villarceau verbindet die Rue Copernic mit der Rue Boissière. An ihrem nördlichen Ende, direkt gegenüber dem Haus, in dem sich meine Wohnung befindet, werden gerade die Fundamente für ein neues Gebäude gesetzt. Als wir am Eingang zu meinem Wohnhaus vorbeifahren, schaue ich aus dem Fenster: nirgendwo Reporter oder Polizisten, nur Bauarbeiter. Ich bitte den Kutscher, hinter der nächsten Ecke zu halten, zahle den Fahrpreis und gehe zu Fuß zurück.
    Die Flügeltür ist verglast und vergittert. Ich halte die Hände über die Augen und schaue durch das staubige Glas in den leeren Hausflur. Der Matsch und der Bauschutt haben die gepflasterte Straße in einen Feldweg verwandelt. Der Geruch der frisch ausgehobenen Erde würzt den kalten Regen. Ich komme mir vor wie ein Besucher, der nach langer Zeit an die Stätte eines früheren Lebens zurückkehrt. Ich öffne die Tür und habe die Hälfte des Weges bis zur Treppe zurückgelegt, als ich das vertraute Klicken eines Türriegels höre. Aber während die Concierge früher immer sofort aus ihrem Bau gehuscht kam, um mich in ein Gespräch zu verwickeln, hält sie nun Abstand und beobachtet mich durch ihre Tür, die sie einen Spalt weit geöffnet hat. Ich tue so, als würde ich nichts bemerken, und steige mit dem Koffer in der Hand in den vierten Stock hinauf. An meiner Wohnungstür sind keine Einbruchspuren zu erkennen. Wahrscheinlich hat die Concierge ihnen aufgemacht.
    Als ich die Tür öffne, bleibe ich augenblicklich wie an gewurzelt stehen. Ich bin entsetzt, wie gründlich sie die Wohnung durchsucht haben. Der Teppich ist zusammengerollt. Alle meine Bücher sind aus den Regalen genommen, ausgeschüttelt und wahllos wieder zurückgestellt worden. Lesezeichen liegen verstreut auf dem Boden. Die Truhe, in der ich meine alten Briefe aufbewahre, ist aufgebrochen und ausgekippt worden. Die Schubladen des Sekretärs sind ebenfalls aufgebrochen. Sogar die Partituren im Notenfach des Klavierhockers haben sie nach Hinweisen durchsucht. Der abgenommene Klavierdeckel lehnt hochkant an der Wand. Ich schalte die Schreibtischlampe an und hebe eine Fotografie meiner Mutter vom Boden auf. Das Glas ist zersprungen. Plötzlich stelle ich mir vor, wie Henry genau an dieser Stelle steht – Oberstleutnant Henry, wie ich ihn ab jetzt nennen muss – und an seinem klobigen Metzgerdaumen leckt, während er meine Briefe durchblättert und den Männern von der Sûreté zur Erheiterung intime Zärtlichkeiten vorliest.
    Die Vorstellung ist unerträglich.
    Aus dem anderen Zimmer höre ich schwache Geräu sche – Knarzen, Atmen, Stöhnen. Ich gehe über die nackten Bodendielen und schiebe vorsichtig die Tür auf. Zusammengerollt und noch im Mantel, mit zerzaustem Haar und verweintem, weißem Gesicht, liegt Pauline auf dem Bett und schaut mich mit blutunterlaufenen, geschwollenen Augen an.
    »Sie haben es Philippe erzählt«, sagt sie.
    •
    Sie hat schon die ganze Nacht hier verbracht. Sie hat in der Zeitung gelesen, dass ich wieder in Paris bin, also ist sie gegen Mitternacht gekommen, weil sie

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