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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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scheint sie zu begreifen, dass es mir ernst ist. Sie lacht nervös. »O Georges«, sagt sie. »Das hört sich ja richtig bedrohlich an.« Aber dann geht sie, um ihren Bruder herzubitten.
    Jugendlich wie immer schlendert Aimery in einem gut geschnittenen grauen Anzug zur Tür herein. Er trägt zwei Tassen Tee. »Hallo, Georges. Wenn du schon nicht zum Samowar kommen willst, dann kommt der Tee eben zu dir.«
    Wie setzen uns an den Kamin. Während Aimery an seinem Tee nippt und Blanche eine ihrer farbenprächtigen türkischen Zigaretten raucht, erzähle ich, wie Blanches Name für ein gefälschtes, höchstwahrscheinlich von du Paty ersonnenes Telegramm benutzt wurde, das mir nach Tunesien geschickt wurde. Blanches Augen leuchten. Sie scheint das für ein tolles Abenteuer zu halten. Aber Aimery wittert die Gefahr sofort.
    »Warum sollte du Paty Blanches Namen benutzen?«
    »Weil sie Germain Ducasse kennt, und Ducasse hat für mich bei einer Geheimdienstoperation gegen Esterházy gearbeitet. Und jetzt sieht es so aus, als gehörten wir alle zu diesem imaginären jüdischen Syndikat, das auf Dreyfus’ Freilassung hinarbeitet.«
    »Das ist doch völlig lächerlich«, sagt Blanche durch eine Rauchwolke hindurch. »Kein Mensch wird das auch nur eine Sekunde glauben.«
    »Warum Blanches Name?«, fragt Aimery. »Ich kenne Ducasse auch. Warum nicht mein Name?« Das scheint ihn tatsächlich zu verwirren. Er sieht mich an, dann seine Schwes ter. Wir trauen uns kaum, ihm in die Augen zu schauen. Einige verlegene Sekunden verstreichen. Aimery ist kein Dummkopf. »Ah«, sagt er leise und nickt bedächtig. »Verstehe.«
    »Herrgott noch mal«, ruft Blanche gereizt. »Du bist ja schlimmer als Vater. Was spielt das schon für eine Rolle?«
    Aimery ist plötzlich sehr angespannt und schweigsam, verschränkt die Arme und schaut auf den Boden. Er überlässt die Antwort mir. »Leider spielt es eine Rolle, Blanche, weil man dich nämlich wegen des Telegramms befragen wird. Und dann landet es in den Zeitungen, und dann ist der Skandal da.«
    »Dann ist er eben …«
    Aimery fährt ihr wütend über den Mund. »Sei einfach still, Blanche, ausnahmsweise, bitte! Das betrifft nicht nur dich. Das zieht die ganze Familie in diesen Schlamassel. Denk an deine Mutter. Und vergiss nicht, dass ich aktiver Offizier bin.« Er wendet sich an mich. »Wir müssen mit unseren Anwälten reden.«
    »Natürlich.«
    »In der Zwischenzeit ist es besser, glaube ich, wenn du nicht mehr in dieses Haus kommst und wenn du jeglichen Kontakt zu meiner Schwester meidest.«
    »Aimery …«, sagt Blanche mit bittender Stimme.
    Ich erhebe mich zum Abschiednehmen. »Ich verstehe.«
    »Tut mir leid, Georges«, sagt Aimery. »Aber es geht nicht anders.«
    •
    Weihnachten und Neujahr gehen vorüber, Ersteres ver bringe ich mit den Gasts in Ville-d’Avray, Letzteres mit Anna u nd Jules in der Rue Cassette. Pauline bleibt im Süden. Ich verkaufe einem Händler für fünftausend Francs meinen Érard-Flügel und schicke ihr das Geld.
    Esterházys Prozess vor dem Militärgericht ist für Montag, den 1 0. Januar 1 89 8 angesetzt. Ich bin als Zeuge vorgeladen, ebenso Louis. Da jedoch am Freitag vor der Verhandlung sein Vater in Straßburg nach langer Krankheit stirbt, wird Louis gestattet, zu seiner Familie fahren.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagt Louis.
    »Mein lieber Freund, was gibt es da zu überlegen?«, sage ich. »Los, fahr zu deiner Familie.«
    »Aber der Prozess … Du stehst allein da …«
    »Offen gesagt, ob du jetzt dabei bist oder nicht, auf den Ausgang hat das sowieso keinen Einfluss. Also, fahr!«
    Am Montag stehe ich vor Morgengrauen im Dunkeln auf, ziehe den blassblauen Uniformrock des 4 . Tunesischen Schützenregiments an, stecke mir das Band der Ehrenlegion an und mache mich, gefolgt von zwei Polizeiagenten in Zivil, auf den vertrauten Weg durch Paris zum Militärgerichtshof in der Rue du Cherche-Midi.
    Der Tag ist mir von Anfang an feindselig gesinnt. Es ist kalt und grau, und es nieselt. Auf der Straße zwischen Gefängnis und Gerichtshof steht ein Dutzend Gendarmen mit tropfnassen Umhängen und Mützen, aber nirgendwo sind Menschen zu sehen, die sie in Schach halten müssten. Ich gehe über das glitschige Pflaster des Innenhofs in das ehemalige Nonnenkloster, in dem vor über drei Jahren Dreyfus vor Ge richt stand. Ein Hauptmann der Republikanischen Garde führt mich in den Aufenthaltsraum für Zeugen. Ich bin der Erste. Der kleine Raum hat über

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